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Ein Astrologe bereiste 1902 im Auftrag der Königlichen Wissenschaftlichen Gesellschaft zu Göttingen die Insel Samoa und fertigte stereotypische Fotografien von Samoanerinnen an. Elf Jahre später begab sich ein Göttinger Augenarzt in Begleitung eines Künstlers auf seine zweite Expedition nach Ozeanien. Dort untersuchte er Frauen, um herauszufinden, wie man die Geburtenrate in den deutschen Kolonien steigern kann. Im Folgenden soll anhand von Otto Tetens und Alfred Leber verdeutlicht werden, wie auch Göttinger Wissenschaftler beispielhaft für ihre Zeit Forschung an Frauen in den Kolonien betrieben.

 

Vorstellungen von und Forschung an Frauen in der „Deutschen Südsee“

Kolonialforschung beschäftigte sich selten mit Frauen, was dadurch zutage tritt, dass sie in den Forschungen zu den deutschen Südsee-Kolonien bis auf einige wenige Ausnahmen so gut wie gar nicht auftauchen. Durch den Mangel an schriftlichen Quellen von Seiten der Lokalbevölkerung beschränken sich die meisten zeitgenössischen schriftlichen Zeugnisse über die Frauen dort auf Berichte aus männlicher und europäischer Perspektive. Allerdings sind diese Quellen mit großer Vorsicht zu betrachten, da sie mehr über die in Europa bis heute verbreiteten stereotypen Frauenbilder aussagen als darüber, unter welchen Bedingungen Frauen damals in den Kolonien lebten. Darüber hinaus sind sie in der Regel stark rassistisch gefärbt.

Die Frauen aus Ozeanien wurden mit Sinnlichkeit, Exotik, Erotik und Kindlichkeit assoziiert und oft als „sanfte Südseeschönheiten“ beschrieben. Der in den meisten Fällen männliche Blick der europäischen Forscher verwandelte Frauen in sexuell aufgeladene Objekte – das wird deutlich, wenn man die Fotos von Otto Tetens betrachtet. Aber auch der Göttinger Professor der Augenmedizin, Alfred Leber, begegnete Frauen keineswegs auf Augenhöhe. Den Reiseberichten nach zu urteilen, gab es keine Verhandlungen über die Forschungsabläufe mit den Frauen – männliche Autoritäten wurden hingegen häufig konsultiert. Ohne behaupten zu wollen, dass den Männern und Jungen, die Alfred Leber in den Kolonien untersuchte, mit Respekt begegnet wurde, ist doch auffallend, dass der Umgang mit Frauen unzählige Grenzen überschritt und körperliche wie seelische Verletztungen im Dienste der Wissenschaft in Kauf genommen wurden.

 

Frauen und die „koloniale Geburtenfrage“

In einem Bericht über seine Expedition nach Deutsch-Neuguinea, wo er im Auftrag des Reichskolonialamtes 1913 bis 1914 die Hintergründe für den angeblich starken Geburtenrückgang untersuchen sollte, beschreibt Alfred Leber, wie die Forschungsbesuche in den einzelnen Dörfern abliefen:

„Meist waren die Bewohner bei unserem Kommen bereits versammelt. Zunächst wurden die verheirateten Frauen einzeln einem oft harte Geduldsproben stellenden Examen über ihre Geburten, Krankheiten und Todesfälle ihrer Kinder unterzogen.“[1]

Diese Bemerkung zeigt, dass Leber anscheinend nicht in Erwägung zog, dass es für die Frauen schwer sein würde, vor fremden europäischen Männern, die überdies Vertreter der Kolonialmacht waren, über Kindstod oder Geburten zu sprechen – eine für Kolonialakteure nicht untypische Haltung. Neben oben beschriebenen Untersuchungen versuchte Leber anhand von geschätzten Geburtenzahlen – die er, wie er zugibt, oft in Abwesenheit der Frauen erhob – Rückschlüsse über die Fruchtbarkeit beziehungsweise Sterilität der Frauen zu ziehen und verknüpfte diese mit Beobachtungen über Lebensbedingungen und die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen.

In einem weiteren Reisebericht beschreibt er „[den] Typus der überlasteten, unterernährten, freudlosen Frau, für welche die Mutterschaft längst aufgehört hat, der höchste Lebenspreis zu sein“[2] und bezieht sich damit auf die Mutterschaftsbedingungen der samoanischen Frauen. Hier zeigt sich nicht nur, wie diese Frauen auf den Status von Forschungsobjekten reduziert wurden, es wird außerdem deutlich, welche Vorstellungen Leber darüber hatte, wie Frauen idealerweise aussehen sollten: Sie sollten den europäischen Nomen von Weiblichkeit entsprechen und gemäß diesen war die Mutterschaft das höchste Ziel, ja die Erfüllung weiblichen Lebens. Dass die Wünsche und Bedürfnisse der Frauen dabei für Leber ohne jede Relevanz waren, zeigt sich erneut anhand der Maßnahmen, die er dem Reichskolonialamt zur „Hebung der Geburtenzahlen“ vorschlägt:

„Aufklärung über die Folgen der Abtreibung – Anzeigepflicht und Bestrafung der Abtreibung, Kinderprämien für Mütter von 4 und mehr Kindern, Entlastung der Mütter durch Heranziehung der Männer zu Pflanzungsarbeiten, die zur Zeit noch von den Frauen geleistet werden.“[3]

Dass viele Frauen auf Samoa und ehemals Deutsch-Neuguinea andere Vorstellungen von ihrem Leben hatten als die in Europa propagierten "Idealbilder", war für Leber ohne Bedeutung. Das, was in deutschen Augen als geringe Geburtenrate angesehen wurde, lag nicht nur an anderen Lebensformen und – bedürfnissen, sondern auch an den Begleiterscheinungen des Kolonialismus. So waren auch eine Reihe von Epidemien und aus Europa importierter Krankheiten Ursache für geringe und sinkende Bevölkerungszahlen. Lebers Beobachtung, dass die Anzahl von Kindern pro Frau sehr gering war, entsprach also durchaus den Tatsachen ­– die Gründe verweisen allerdings weniger auf „rassenhygienische“ Ursachen, wie etwa Inzucht, Kannibalismus oder der „Schwäche der Rasse“, sondern eben auf andere Lebensweisen und Epidemien. Eine weitere zentrale Rolle spielte auch die Arbeiteranwerbung, die im Zuge der Kolonisierung immer mehr anstieg. Die oben genannten Maßnahmen, die Leber für die Südsee-Inseln vorschlug, verdeutlichen nicht nur, wie auch unter medizinischem Deckmantel versucht wurde, auf Basis dieser Fehldeutungen in das Leben der SamoanerInnen einzugreifen. Sie zeigen auch, wie die Geschlechterrollen im Sinne der drei „Ks“ (Kinder, Küche, Kirche) aus dem Deutschen Kaiserreich auf die Kolonien übertragen werden sollten. Die Kinderprämie oder die vermeintliche „Entlastung der Mütter“, die hier durchaus als Versuch gelesen werden kann, die Frauen an den Haushalt zu binden, veranschaulicht abermals, dass die europäische Gesellschaftsordnung als Schablone für die koloniale Welt galt. Die Lebensrealitäten der Lokalbevölkerung spielten dabei keine Rolle und sollten der eigenen Geschlechterideologie untergeordnet werden.

 

Frauen und die „koloniale Arbeitsfrage“

Frauen als Grundlage für die „wichtigste aller Fragen, die der Volksvermehrung“[4] und Lebers Forschung waren für den deutschen Kolonialismus nicht nur von wissenschaftlicher Bedeutung. Vielmehr ging es ebenfalls darum, die eigene Herrschaft zu stärken und wirtschaftlich konkurrenzfähig zu bleiben. Ozeanien und damit auch die „deutsche Südsee“ war seinerzeit ein großer Arbeits- und Migrationsmarkt, was für die deutschen Kolonien konkret bedeutete, dass die Frage nach Arbeitskräften eine hohe Priorität hatte. 1913 wurde im Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene eine Preisaufgabe im Namen des Großreeders Eduard Woermann veröffentlicht, in der nach erfolgreichen Maßnahmen zur Geburtensteigerung gefragt wurde:

Koloniale Preisaufgabe.
Herr Eduard Woerman in Hamburg hat dem Professorenrat des Kolonialinstituts zu Hamburg 6000 Mark zur Verfügung gestellt als Preis für die beste Bearbeitung der Frage: "Durch welche praktischen Maßnahmen ist in unseren Kolonien eine Steigerung der Geburtenhäufigkeit und Herabsetzung der Kindersterblichkeit bei der eingeborenen farbigen Bevölkerung - dem wirtschaftlich wertvollsten Aktivum unserer Kolonien - zu erreichen?"
In der Arbeit sollen außer den medizinischen auch die religiösen, ethnographischen und wirtschaftlichen Verhältnisse untersucht und dargelegt werden, die vom Einfluß auf die Geburtenzahl und Säuglingssterblichkeit bei den Eingeborenen unserer Kolonien sind, ferner sollen praktische Vorschläge zur Steigerung der Geburtenhäufigkeit und Herabsetzung der Kindersterblichkeit bei der eingeborenenen farbigen Bevölkerung gemacht werden. Die Untersuchung braucht nicht auf alle Schutzgebiete ausgedehnt zu werden, es werden auch Arbeiten, die sich auf ein Schutzgebiet beschränken, zum Wettbewerb zugelassen. [...]
Der Preis kann auch geteilt werden. Die Entscheidung wird bis zum 1. Oktober 1915 in der Deutschen Kolonialzeitung bekannt gegeben. Die preisgekrönte Schrift geht in das Eigentum des Hamburgischen Kolonialinstituts über, auch hat das Institut das Recht, die übrigen Arbeiten ganz oder im Auszug oder teilweise zu veröffentlichen.
Der Professorenrat des Hamburgischen Kolonialinstituts, Franke, Vorsitzender.“[5]

Die koloniale Geburtenfrage (oder wie es zeitgenössisch hieß: die „Frauenfrage“) war nicht von der kolonialen Arbeitsfrage zu trennen. Leber schlug neben verschiedenen Anwerbe-Regelungen ebenfalls vor, dass nicht mehr Männer angeworben werden dürften als es Frauen auf den Inseln gebe. Und dass die Männer im besten Fall mit ihren (Ehe-)Frauen angeworben werden sollten.

Er stellte einen „Fruchtbarkeitsvergleich“ zwischen verschiedenen Generationen auf mehreren Teilen der deutschen Südsee-Inseln (Buka, Petats und die Gazellen-Halbinsel) an. Aus diesem schlussfolgerte Leber, dass die Arbeiteranwerbung Familiengründung erschweren und die Geburtenzahlen beziehungsweise die Leistungsfähigkeit der Kinder verringern würde. Lebers „wissenschaftliche“ Arbeit erfüllte also einen kolonialpolitischen Zweck: Sie sollte helfen, den Mangel an Arbeitskräften für die deutsche Kolonialwirtschaft zu beheben.

Faktisch blieben seine Forschungen allerdings weitgehend folgenlos. Seine 1913 bis 1914 durchgeführte Expedition blieb die letzte des Deutschen Reichskolonialamts – Deutschland verlor mit dem Ersten Weltkrieg alle seine Kolonien. Leber selber verschlug es in den Wirren des Krieges nach Indien, wo er schließlich bis zu seinem Tod als Arzt arbeitete. In Deutschland blieben er und seine Forschung weitgehend unbekannt, im Gegensatz zu seiner Reisebegleitung Emil Nolde. Der Künstler gewann durch die Medizinisch-Demographische Deutsch-Neuguinea Expedition an Bekanntheit. Anonym blieben hingegen die Frauen, die Leber zu seinen Forschungsobjekten machte und untersuchte. Sie tauchen nur als Zahlen für Bevölkerungs- und Krankheitsstatistiken auf. Auch dort wird die koloniale Perspektive auf die Lokalbevölkerung nicht abgelegt.

Leber hielt seine Forschungsergebnisse in solchen Tabellen fest. Hier wird erneut deutlich, wie er die „Geburtenfrage“ an den Frauen auf der Gazellenhalbinsel festmacht. "Tabelle II: Kinder und Frauen der Kanaken".[Abb.1]

 

Die „sanfte Südseeschönheit“ als Erfolgsfotomotiv

So selten Frauen auch im Mittelpunkt kolonialer Forschungsprojekte standen, als Objekt kolonialer Fotografie waren sie sehr beliebt. Das wird besonders gut am Beispiel Samoa, der Lieblings-Südseekolonie der Deutschen, deutlich. Hier florierte der Fotografie-Markt: Postkarten, Souvenirdrucke und Studioaufnahmen der Lokalbevölkerung und häufig auch Fotos, auf denen ausschließlich Frauen zu sehen waren, wurden an europäische „BesucherInnern“ der Insel verkauft. Die Motive ähnelten sich in der Regel stark: Neben Landschafts- und „rassenkundlichen“ Anatomiefotos wurden Männlich- und Weiblichkeit durch Bilder von „barbarischen, wilden Häuptlingen und Kriegern“ oder Ablichtungen halbnackter Samoanerinnen in unzähliger Häufung inszeniert. Letztere repräsentierten – als Prototyp exotischer und erotischer Sehnsüchte – dabei sowohl deutsche und männliche Herrschaftsansprüche als auch ein Gegenbild zur prüden Sexualmoral des Deutschen Kaiserreichs. Die Fotografien des im Auftrag der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen nach Samoa entsendeten Otto Tetens stellen diesbezüglich keine Ausnahme dar. Er setzte samoanische Frauen vor seiner Kamera in Szene, um das „echte“ Leben auf Samoa darzustellen – wie Tetens es wahrgenommen hatte. Mit Sorgfalt arrangierte er vermeidlich natürliche Alltagsszenen der SamoanerInnen, auf denen junge Frauen mit Waffen in der Hand vor einer Hütte posieren oder bei Ritualen gezeigt werden. Ein anderes Motiv sind Familienportraits, die an traditionelle Studioausnahmen aus Europa erinnern, bei denen die Kinder um die Eltern drapiert werden. Während die Männer häufig einen Gegenstand, wie zum Beispiel eine Pfeife oder einen Regenschirm in der Hand halten, berührt die Mutter in der Regel eines der Kinder. Oft sind die Frauen auf den Bildern oberkörperfrei. Peter Mesenhöller deutet dies als „Versuch westlicher Fotografien, fremde und unbekannte Phänomene mit den Mitteln eigenkultureller Darstellungsweisen der oder des ‚Anderen‘ in ein vertrautes westliches Wertesystem einzuordnen“.[6]

Auffallend bei den auch in Deutschland sehr beliebten Fotografien samoanischer Frauen ist, dass sie entweder als exotische Schönheiten und damit als sexuelle Objekte – nicht selten semi-pornographisch – in Szene gesetzte wurden. Oder sie wurden in angeblich typische Lebenskonzepte projiziert, wo sie dann ein Familienmodell und eine Geschlechterordnung darstellen sollten, die auffällige Ähnlichkeiten mit den europäischen Familien- und Geschlechterrollen hatten. Dass Samoanerinnen weder sexuelle Lustobjekte waren, noch so lebten, wie die Idealvorstellungen von deutschen Müttern und Hausfrauen es vorsahen, muss nicht eigens betont werden.

 

Folgen

Bis heute sind die Vorstellungen über die Frauen aus Ozeanien von der kolonialen Perspektive beeinflusst, die Leber und Tetens damals produzierten. Die Aufgabe von HistorikerInnen ist es, diese zu hinterfragen, sowie die bestehenden Weiblichkeitsbilder zu dekonstruieren. Möglicherweise könnte sich dadurch in Zukunft herausstellen, dass die Frauen bei weitem mehr Wirkmächtigkeit hatten, als ihnen durch die EuropäerInnen zugeschrieben wurde. Was aber jetzt schon deutlich wird, ist, dass die in Forschung und Fotografie produzierten Frauenbilder mehr über Männer wie Alfred Leber und Otto Tetens aussagen als über die Frauen, die um 1900 in Ozeanien lebten.

 

Von Merle Ayecke

 

 

Literaturhinweise

Marianne Bechhaus-Gerst/Mechthild Leutner (Hg.), Frauen in den deutschen Kolonien, Berlin 2009.

Livia Loosen, Deutsche Frauen in den Südsee-Kolonien des Kaiserreichs. Alltag und Beziehungen zur indigenen Bevölkerung, 1884-1919, Bielefeld 2014.

Tobias Sperlich, Samoa in Miniatur. Fotografien als koloniale Informationsquelle über das Leben in der Südsee, in: Fotogeschichte Jahrgang 33 (2013), H. 128, 15-24.

 


[1] Alfred Leber/Ludwig Külz, Bericht der medizinisch-demographischen Südsee-Expedition über die Gazellenhalbinsel, in: Deutsches Kolonialblatt 17 (1914), 782.

[2] Alfred Leber, Nachlass 1913-1914, Bundesarchiv Berlin Lichterfelde, N 2366, 19.

[3] Ebenda.

[4] Alfred Leber, Durchquerung der Insel Manus (Admiratlitätsinseln). (Medizinisch-Demographische Deutsch-Neuguinea-Expedition des Reichskolonialamts im Jahre 1914.), in: Paul Langhands (Hg.), Dr. A. Petermanns Mitteilungen aus Justus Perthes‘ Geographischer Anstalt, 69. Jahrgang, Gotha 1923, 265.

[4] O. Franke, Koloniale Preisaufgabe, in: Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene 17 (1913), 567.

[6] Peter Mesenhöller, „Für die Freunde im Vaterland“. Frauenbilder in der kolonialen Fotografie im Samoa um 1900, in: Marianne Bechhaus-Gerst/ Mechthild Leutner (Hg.), Frauen in den deutschen Kolonien, Berlin (2009), 216.


Abbildungen

[Abb.1] Quelle: Alfred Leber/Ludwig Külz, Bericht der medizinisch-demographischen Südsee-Expedition über die Gazellenhalbinsel, in: Deutsches Kolonialblatt 14 (1917), 785.