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Inwiefern hat ein 1902 auf Samoa errichtetes Observatorium eine kolonialgeschichtliche Bedeutung? Und was genau haben die Kolonien mit dem Vorantreiben der europäischen Wissenschaft zu tun? In diesem Beitrag sollen Antworten auf diese Fragen gefunden werden.

Zunächst ist wichtig zu wissen, dass grade für den Bereich der Geophysik, die sich bekanntlich mit den physikalischen Eigenschaften und Prozessen der Erdkruste und des Erdinneren beschäftigt, ein weltumspannendes Netz von Observatorien wichtig war, um differenzierte Ergebnisse zu erlangen. Für so ein weltumspannendes Netz waren die Kolonien äußerst nützlich, konnte man hier doch ohne weitere langwierige Verhandlungen über Besitzrechte Gebäude errichten und wissenschaftliche Apparate installieren, die genau für die Geophysik ausgelegt werden konnten. Gleichzeitig symbolisierten insbesondere Forschungseinrichtungen in den Kolonien die Machtansprüche der jeweiligen Kolonialmacht und manifestierten europäische Wert- und Lebensvorstellungen fernab der eigentlichen Heimat.

Im Jahre 1898 wurde an der Georg-August-Universität zu Göttingen das Institut für Geophysik gegründet. Infolgedessen wurde auch in der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen eine Geophysikalische Kommission gebildet. Aus dem Kreis ihrer Vertreter heraus begann sich schon im Jahr 1900 die Idee zu entwickeln, seismische Stationen weltweit zu errichten. Im Mai des gleichen Jahres legten die Vertreter auf dem Kartelltag der vier deutschen Akademien zu Wien den Vorschlag vor, temporäre seismische Stationen in Palästina, Kiautschaou, Südamerika und Samoa zu betreiben. Es war geplant, das bisherige Netz der Stationen auf einen großen Ring um die Erde auszudehnen. Damit diese Stationen möglichst in deutschen Händen lagen, kamen vor allem deutsche Kolonien beziehungsweise Regionen, in denen deutsche Interessen leicht durchzusetzen waren, in Betracht. Andererseits war Wissenschaft auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts international und es lag im Interesse aller Geophysiker in Kooperationen mit möglichst vielen Nationen das Unterfangen durchzusetzen. So tauschte man die Ergebnisse des Samoa Observatoriums beispielsweise mit vergleichbaren Daten aus Australien, Japan und Neuseeland aus.

Zunächst plante man in Göttingen einen Geophysiker für ein bis eineinhalb Jahre nach Samoa zu schicken. Samoa wurde nicht nur aus wissenschaftlichen, sondern auch aus politischen Gründen als neuer Standtort gewählt. Seit Mitte des vorherigen Jahrhunderts stritten sich die USA, England und das Deutsche Kaiserreich um die Samoa-Inseln. Nach den sogenannten Wirren in Samoa 1898/99 verzichtete England auf seine Ansprüche auf Samoa und erhielt in einem unter diesen westlichen Mächten ausgehandelten Vertrag im Gegenzug die Tonga-Inseln. Den USA wurden die sogenannten Schutzmachtrechte auf der Insel Tituila zugesprochen, während das Deutsche Kaiserreich die Schutmachtrechte für die beiden großen Samoa-Inseln Savaii und Upolu erhielt. In der kolonialen Praxis bedeutete "Schutzmacht" über die jeweiligen Gebiete als Kolonialmacht zu verfügen. Das deutsche koloniale Gouvernement, welches in Apia installiert wurde, musste nun dafür sorgen, dass sich die Kolonie nicht nur gemäß den wirtschaftlichen Interessen (wie der Plantagenwirtschaft) entwickelte, sondern sollte es ebenfalls die wissenschaftliche Durchdringung des Raumes vorantreiben. Daher konnte die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen mit der Unterstützung ihrer Idee rechnen.

 

Vorbereitungen

Die geophysikalische Kommission legte am 28.2.1901 einen endgültigen Plan mit der Budgetplanung der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen vor. Sie argumentierte, dass die Fragen der Geophysik nur auf der Grundlage von Beobachtungen an verschiedensten Punkten der Erdoberfläche beantwortet werden könntn und dass die Relevanz der magnetischen Beobachtungen erst klar werden könne, wenn sie an vielen, möglichst gleichmäßig verteilten Orten gemacht würden. Das zu dem Zeitpunkt vorhandene internationale Netz wies Lücken im mittleren und südlichen Stillen Ozean auf. Da zunächst nur Beobachtungsstationen auf Neuseeland und Hawaii vorhanden waren, würde eine temporäre Station auf Samoa ein Teil dieser Lücke füllen. Doch nicht nur zu diesem Zwecke erwies sich Samoa als ein wichtiger Ort. Samoa war auch für die Ergänzung des magnetischen Beobachtungsmaterials, was für die südliche Erdhalbkugel nur dürftig vorhanden war und für die Navigation immer dringender benötigt wurde, sehr gut geeignet. Durch die wesentlichen anderen Wärme- und Luftfeuchtigkeitsverhältnissen auf Samoa konnte die Forschung in Hinblick auf den Zusammenhang von Luftelektrizität und des Erdmagnetismus ergänzt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der für Samoa sprach, fand sich in der Forschung der Seismik wieder. Europa und Samoa liegen etwa in der gleichen Entfernung zu einem der wichtigsten Erschütterungsgebiete der Erde, der Ostküste Asiens. Wobei Mitteleuropa sich im Zentrum der Landmassen befindet, während Samoa von ozeanischen Tiefen umgeben ist. Dieser Kontrast versprach neue Antworten auf die Frage zu liefern, wie Festland und Ozean die Verbreitung der Erdbebenwellen beeinflussen. Die Argumente, die die geophysikalische Kommission vorlegte, sprachen also deutlich für eine Errichtung des Observatoriums auf Samoa. Vom wissenschaftlichen und politischen  Standpunkt her war diese Unterfangung so reizvoll, dass sofort mit der Durchführung begonnen wurde.

 

Die Errichtung des Observatoriums

Da die eigentlich für die Leitung des Observatoriums vorgesehene Person kurzfristig ausfiel, musste in größter Eile Ersatz gefunden werden. Im Dezember 1901 startete die Kontaktaufnahme mit Otto Tetens. Dieser war zuvor Assistent an der Sternwarte in Straßburg und trat erst im Januar 1902 in die Dienste der Gesellschaft, um mit den Vorbereitungen zu beginnen. Nach Einarbeitung in die Forschungsfelder wurde im März mit dem Abbruch der Beobachtungshütten auf dem Göttinger Hainberg und der endgültigen Verpackung der Ausrüstungsgegenstände unter Tetens Aufsicht begonnen. Bereits am 22. April verließ er auf dem Dampfer „Oldenburg“ Europa und traf am 11. Juni 1902 in Apia ein.

Tetens wählte für den Standort des Observatoriums die Halbinsel Mulinuu aus. Dieses errichtete er dort auf einem Platz von ungefähr 40 Metern Breite und 150 –200 Metern Länge. Als erstes wurden Häuser nach samoanischem Stil sowohl für den Observator als auch für die Instrumente errichtet. Ein sogenanntes Samoa-Haus kennzeichnet sich durch ovale oder kreisförmige Fläche und kuppelförmigem Dach. Als Arbeitskräfte dienten ihm einheimische Insassen aus dem Gouvernement Gefängnis. Das bedeutet, dass er von Anbeginn an auf die deutsche koloniale Infrastruktur zurückgreifen konnte, die wie alle kolonialen Infrastrukturen von Zwangsarbeit gekennzeichnet waren. Der Bau konnte im Herbst des gleichen Jahres beendet werden. Im November begannen die täglichen Ablesungen der meteorologischen Geräte. Die Aufzeichnungen wurden konsequent dokumentiert und regelmäßig nach Göttingen übersendet.

In der Kolonialepoche war es üblich, dass neben klimatische Bestandaufnahmen, Wettervorhersagen und topographische Karten auch Daten in Forschungsfeldern wie Astronomie, Seismologie und Gravimetrie von den Forschern vor Ort festgehalten wurden. Diese dienten Wissenschaft wie Wirtschaft gleichermaßen. Anhand dieser Daten konnten präzise Karten für die Schifffahrt entwickelt und die Jahreszeiten und Routen bestimmten werden, in welchen Handels-, Marine- und auch Passagierschiffe am besten den langen Weg in die Kolonie finden konnten. Zugleich dienten die Aufzeichnungen auch dafür, Wetterdaten zu erheben, die Aufschluss darüber gaben, welches Anbauprodukt in der jeweiligen Kolonie am besten gedeihen würde. Koloniale Observatorien hatten also mehrere Funktionen: Sie dienten der Forschung und der kolonialen Wirtschaft, die nicht nur in der deutschen Südsee teilweise auf Zwangsarbeit basierte. Überdies verkörperte das Observatorium mit seinen Instrumenten und Aufzeichnungen den spätestens seit Humboldt offensiv propagierten Anspruch europäischer Wissenschaft auf eine objektivierende Durchdringungen der Welt. Ganz selbstverständlich geschah dies ohne, dass die lokale Bevölkerung zuvor nach ihren Landrechten gefragt worden war. Die wissenschaftlichen Publikationen der Europäer, die ohne das lokale Wissen und ohne die Dienste der einheimischen Bevölkerung nicht zustande gekommen wären, dienten dazu, die europäischen territorialen Ansprüche zu legitimieren. Das zeigt sich  auch in den Schriften der deutschen Wissenschaftler des Samoa Observatoriums. Hier ist deutlich zu erkennen, dass die Lokalbevölkerung nicht als gleichrangig angesehen wurde, wenn sie überhaupt erwähnt wurden. Die Schriften vermitteln den Eindruck, der Forscher habe alles alleine gebaut, entwickelt und seine Aufgaben alleine erfüllt. Nur ab und an werden „Arbeiter“ erwähnt, aber nie mit Namen und oder auch Informationen darüber versehen, ob sie Zwangsarbeiter, Gefangene, freiwillig rekrutierte Arbeiter oder auch lokale Experten waren.

Blick auf das Observatoriumsgelände von vorne.[Abb.1]

 

Nachfolger und weitere Entwicklung

Ab dem Jahr 1903 setzte sich die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen für eine dauerhafte Erhaltung der Erdbebenstation in Apia ein. Samoa wurde als wichtiger Standpunkt für die weitere Forschung angesehen. Franz Linke traf Ende 1904 in Apia ein und übernahm bereits eine Reihe von Beobachtungen. Die offizielle Übergabe erfolgte im Januar 1905. Bei seiner Ankunft machte das Observatorium auf ihn den Anschein eines Samoaner Dorfes, da zum Beispiel auch die aus dem Deutschen Reich eingeführten Holzhäuser mit Samoadächern aus Schutz vor Sonnenstrahlen versehen wurden. Hierbei sei zu erwähnen, dass Tetens unter den Wissenschaftlern eher als ein „going native“- Forscher beschrieben wurde. Aus der Korrespondenz mit den Göttinger Institutionen geht hervor, dass man sehr unzufrieden mit seiner Arbeit war und ihm allzu große Nähe zur lokalen Bevölkerung vorwarf. Trotzdem war Tetens, das zeigen seine zahlreichen Photographien, auf denen er sogenannte Südsee-Schönheiten in exotisierender Art und Weise festhielt, keineswegs eine Person, die koloniale Herrschaft kritisierte oder gar selber frei von den zeitgenössisch üblichen kolonialen Vorstellungen war. Nach der Übergabe führte Tetens' Nachfolger Franz Linke einige bauliche Veränderungen durch. Er beschreibt den neuen Zustand des Observatoriums wie folgt:

„So machte jetzt das ganze Observatoriumsgrundstück mit seinem herrlichen Kokospalmenbestand und der gleichmäßigen Rasenfläche darunter einen würdigen und anheimelnden Eindruck und wird von Einheimischen und durchreisenden Fremden gern als Zielpunkt nachmittägiger und abendlicher Spazierfahrten gewählt“.[1]

Inwiefern dies für die einheimischen SamoanerInnen zutreffend ist, sei infrage gestellt. Linke dachte wohl in erster Linie an die „einheimischen“ Weißen, denen er hier die in Europa innerhalb des Bürgertums beliebte Freizeitbeschäftigung des Spaziergangs nahelegte. Mit der Übernahme Linkes wurden die erdmagnetischen Registrierungen in Gang gebracht und auch regelmäßig Erdbebenberichte nach Göttingen versendet.

Als nächster Observator kam Gustav Angenheister nach Apia. Er traf dort 1907 ein und arbeitete noch zwei Monate gemeinsam mit Linke zusammen. Von 1908 – 1912 war Kurt Wegener in Apia angestellt und von August 1913 bis Juli 1914 Ludwig Carl Geiger. Ihn ablösend traf Angenheister wieder in Apia ein.

Grundsätzlich lieferten alle dort tätigen Forscher die gleiche Art von Daten. Diese wurden schließlich im Heimatland ausgewertet. Durch die relativ konstante Beobachtung und Datensammlung konnte ein für damalige Verhältnisse genaues Bild der Verhältnisse vor Ort gewonnen werden. Zum Beispiel inwiefern das Klima über die Jahre schwankte oder ob Stürme wirklich immer zur gleichen Jahreszeit auftraten oder jedes Jahr anders. Diese Daten waren nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für den Handel und den Transport von hoher Bedeutung. Wie bereits erwähnt, wurden die daraus gewonnenen Erkenntnisse dann zur Entwicklung von Karten benutzt und dann in globale Karten eingebettet. Dies lässt Rückschlüsse darauf zu, dass die Kolonialmächte in wissenschaftlichen Bereichen zusammenarbeiteten beziehungsweise ihre Daten austauschten, damit jede Nation den größtmöglichen wirtschaftlichen Profit aus den Kolonien ziehen konnte und sie gegebenenfalls zwischen den jeweiligen Kolonien Handel betreiben konnten.

 

Entwicklungen während des ersten Weltkriegs und nach dem Ende der deutschen Kolonialzeit

Am 29. August 1914 landeten englische Kriegsschiffe im Hafen von Apia und Soldaten aus Neuseeland besetzten Samoa. Nach Kriegsende wurde Deutsch-Samoa Neuseeland übertragen. Somit wurde auch das Samoa-Observatorium ab dem Jahre 1921 von Neuseeland verwaltet. Es wurde zunächst von den Briten, dann von den US-Amerikanern geleitet. Die neuseeländische Regierung übernahm schließlich bis zur Unabhängigkeit Samoas 1962 die wirtschaftliche Verwaltung des Observatoriums. Heute befindet sich an der gleichen Stelle das Apia Observatory der Samoa Meteorology Division. Damit verfügt die Institution über die älteste Beobachtungsreihe im Südpazifik.

 

 

Beispielhafte Visualisierung der dortigen Forschung.[Abb.2]

 

 

 

Von Miriam Langer

 

 

Literaturhinweise

Gustav Georg Angenheister, Geschichte des Samoa-Observatoriums von 1902 bis 1921, in: Herbert Birett (Hg.), Zur Geschichte der Geophysik. Festschrift zur 50jährigen Wiederkehr der Gründung der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft, Berlin/Heidelberg/New York (1974), 43-66.

Günther Oestmann, Zur Geschichte des Samoa Observatoriums, in: Gauß-Gesellschaft e.V. Göttingen (Hg.): Mitteilungen, Nr. 54 (2017), 71–85.

Hans von Storch/Carsten Gräbel, The Dual Role of Climatology in (German) Colonialism, o.O. 2018.

Lewis Pyenson, Cultural Imperialism and Exact Sciences Revisited, in: Isis 84 (1993) H.1, 103-108.

 


 [1] Hermann Wagner, Ergebnisse der Arbeiten des Samoa-Observatoriums der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, I: Das Samoa Observatorium (= Abhandlungen der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen: Math.-phys. Kl., N. F., 7.1). Berlin 1908, 60-61.

 


Abbildungen

[Abb.1] Herrmann Wagner, Ergebnisse der Arbeiten des Samoa-Observatoriums der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, I: Das Samoa Observatorium (= Abhandlungen der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen: Math.-phys. Kl., N. F., 7.1). Berlin 1908, Verzeichnis der Tafeln, Tafel III. Online unter: https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1-12016 (letzter Zugriff: 14.4.2020). Urheber: Herrmann Wagner. Standort: Staats- und Universtitätsbibliothek Bremen. Lizenz: Public Domain Mark 1.0

[Abb.2] Otto Tetens/Franz Linke, Ergebnisse der Arbeiten des Samoa-Observatoriums der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, II: Die meteorologischen Registrierungen der Jahre 1902- 1906 (= Abhandlungen der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen: Math.-phys. Kl., N. F., 7.1). Berlin 1908, Verzeichnis der Tafeln, Tafel II. Online unter: https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1-12016 (letzter Zugriff: 14.4.2020). Urheber: Otto Tetens/Franz Linke. Standort: Staats- und Universtitätsbibliothek Bremen. Lizenz: Public Domain Mark 1.0