Moritz Büsgen und die Forstwissenschaften

Die Forstwissenschaft der Jahrhundertwende umfasste eine Reihe unterschiedlicher Forschungsbereiche, welche erst im Verlauf der Zeit zu dem mehr oder minder einheitlichen Studienfach wurden, als das man es heute kennt. Diese Entwicklung erklärt eine Überschneidung mit unterschiedlichen Gebieten wie der Botanik (aus welcher die Forstwissenschaft eigentlich hervorging) oder der Forstwirtschaft (welche sich mit der ökonomischen Nutzung des Waldes beschäftigte), aber auch der Geographie. Diese Verschränkung unterschiedlicher Fachbereiche, die aus heutiger Sicht merkwürdig erscheinen mag, war während des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts jedoch keinesfalls ungewöhnlich. Karl Dove etwa, der in Göttingen studiert hatte und eigentlich Geograph war, hielt auch die vorgefundene Pflanzenwelt fest. In seiner Tätigkeit an der unweit Göttingens gelegenen Königlich Preußischen Forstakademie Hannoversch Münden bezog sich Moritz Büsgen, seines Zeichens Professor, bei seinem Unterricht auf Erfahrungswerte wie seine Arbeit auf Java von 1902 bis 1903 oder die von ihm und Fritz Jentsch unternommenen Forschungsreisen in die Tropen und Subtropen und die deutsche Kolonie Kamerun im Jahr 1908. Büsgen gilt als der Begründer der tropischen Forstbotanik in Deutschland. Manche seiner Arbeiten gelten bis heute als Standardwerke der Forstbotanik. Seine Reisen waren allerdings nicht alleine wissenschaftlicher Natur, sondern hatten auch eine ausgewiesene wirtschaftliche Komponente: So war es allen voran das Kolonial-Wirtschaftliche Komitee (KWK), welches Büsgens Reise nach Kamerun maßgeblich finanziell unterstützte.

 

Die Forstwissenschaften in den deutschen Kolonien

Bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert profitierte die Forstwissenschaft von in den Kolonien gemachten Erfahrungen. Für Forstwissenschaftler, die in den deutschen Kolonien tätig waren, spielten Erfahrungen, die bei der Aufforstung in Nordamerika gemacht worden waren, eine große Rolle. Es wurde nicht nur versucht, die vorgefundene Flora zu ordnen, greifbar zu machen und in europäische Kategorisierungsmuster zu fassen. Man wollte die Natur grundlegend umstrukturieren, um sie wirtschaftlich besser nutzbar zu machen. Gleichzeitig dienten Botanische Gärten nicht nur der Ausstellung „exotischer“, sprich nicht-europäischer Pflanzen, sondern auch dem Experimentieren mit Pflanzen unter anderem unter dem Gesichtspunkt einer wirtschaftlicheren Holz- und Rohstoffproduktion.

Der rege Kontakt der in den Kolonien tätigen Forstwissenschaftler und BotanikerInnen legt Zeugnis ab von den zunehmenden transnationalen und globalen Verflechtungen des 19. Jahrhunderts ab. So wurden von den Holländern mehrere deutsche Forstleute wegen ihrer Expertise für die Arbeit auf Java angestellt. Auch die Briten versuchten, die bestmöglichen wissenschaftlichen Ergebnisse in ihren Kolonien umzusetzen: Der aus Deutschland stammende und später zum Ritter geschlagene Sir Dietrich Brandis erarbeitete nicht nur ein Konzept zum kontrollierten, also für die Kolonialverwaltung wirtschaftlichen, Holzschlag in Burma, sondern war auch Mitbegründer des Indian Forest Service. Somit entstand über die Kolonien ein weites wissenschaftliches Netz. Die Botanischen Gärten waren, wie bereits erwähnt, wichtige Orte dieses von wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Interessen bestimmten Austauschs, da dort beispielsweise die möglichen Erträge von Hölzern in kontrollierter Umgebung besser untersucht und beurteilt werden konnten. Die Botanischen Gärten waren ebenfalls Orte kolonialer Macht. Auf Grundlage der dort gemachten Beobachtungen wurden durch die Kolonialverwaltungen Entscheidungen getroffen, die für die Bevölkerung zum Teil einschneidende Folgen hatten. So wurde zum Beispiel die Flora zur Steigerung der Produktion verändert, was etwa die Einfuhr nicht-heimischer Pflanzen zu Folge hatte, womit in den „Urwald“ eingegriffen und dieser verändert wurde. So führte man zum Beispiel mittel- und südamerikanische Kautschuksamen in die deutschen Kolonien ein, weil man sich von denen höhere Erträge versprach. Somit wurden die Wälder stark den Interessen und Wünschen der Kolonialmächte folgend verändert, ohne die Interessen, Traditionen, Lebens- und Arbeitsformen der lokalen Bevölkerung zu berücksichtigen. Außerdem standen diese Entscheidungen, aus heutiger Sicht, in starkem Kontrast zum ebenfalls proklamierten Ziel des Naturschutzes, wie er zum Beispiel in Deutsch-Ostafrika angestrebt wurde. Für die Zeitgenossen wie Büsgen war dies jedoch kein unüberbrückbarer Widerspruch, sondern eher ein Abwägen unterschiedlicher Interessen – was sich in der Praxis oftmals als Nachteil für die am Ort lebende Bevölkerung erwies.

 

Wirtschaftliche Interessen

Wirtschaftliche Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit waren ein zentrales Argument des Kolonialdiskurses und beherrschten auch die Forstwissenschaft seit ihrer Entstehung. Erklärtes Ziel für den Besitz und die Nutzung von Kolonien war laut KWK etwa die Beschaffung von Genussmitteln wie Kaffee oder Kakao, aber auch die Förderung der heimischen Industrie wurde angestrebt. Hierfür wurden die Kolonien als überlebenswichtig erachtet, damit das Deutsche Kaiserreich etwa seine Stellung als größter Gummiwaren- oder zweitgrößter Baumwollwarenexporteur behaupten könne. Die Verbindungen zwischen Wissenschaft und wirtschaftlichen und kolonialen Interessengruppen wie etwa dem KWK lassen sich gut am Beispiel Moritz Büsgens nachvollziehen. Die Forschungsreise, die in die deutsche Kolonie Kamerun führte, wurde schließlich zu Teilen durch das KWK finanziert.

 

Neben Kautschuk, welcher wichtig für die Elektro- und Gummiindustrie war, waren Edelhölzer wie Teakholz für die Kolonialmächte von besonderer Bedeutung und Büsgen forschte explizit auch zu diesem Thema. Die Hölzer wurden wegen ihrer materiellen Dichte und ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Feuchtigkeit für den Bau von Bahnschwellen, Schiffsplanken oder Dachsparren verwendet, wofür sowohl in den Kolonien als auch in den Mutterländern hoher Bedarf bestand. In Holland wurden viele Gegenstände des Hausbaus und Möbel aus Teakholz gefertigt, während im Kaiserreich nicht zuletzt der Ausbau der Flotte und des Eisenbahnnetzes von solchen Hölzern profitierte. So überrascht es nicht, dass die Forschung sich vor allem auf die Verbesserung der Rohstoffproduktion konzentrierte.

Hingegen wurden Praktiken wie die Brandrodung zum Gewinn von Ackerflächen, die von der lokalen Bevölkerung schon lange vor der Kolonisierung praktiziert worden waren, als schädlich für die Produktion angesehen. Sie wurden kurzerhand verboten. Auch Büsgen sprach sich gegen sie aus, warnte etwa vor Bodenabrutschen und plädierte für Aufforstungen. Dementsprechend versuchten die Kolonialmächte, diese Praktiken zu unterbinden und die Forschung vor Ort lieferte bereitwillig Gründe für diese Einschränkungen. Der Holzschlag wurde massiv eingeschränkt; etwa durch hohe Zölle, wenn das Holz für den Eigenbedarf und nicht für den Export bestimmt war.

Charakteristisch für diese Politik ist ist der Mangel an ökologischen Perspektiven, wie er bei Büsgen auftritt. Das heißt nicht, dass Büsgen nicht an der Ökologie interessiert war – ganz im Gegenteil. Doch seine Einschätzungen folgten oftmals der Perspektive nachhaltigen ökonomischen Gewinns und zielten auf die Verbesserung der Produktion und orientierten sich nicht an Naturschutz, wie man ihn heute verstehen würde. Folglich wurde, untermauert durch wissenschaftliche Ergebnisse, in der kolonialen Praxis alles wirtschaftlichen Interessen untergeordnet. Hierzu zählten die traditionelle Lebensweise der lokalen Bevölkerung, die sich den Vorschriften der Kolonialregierung ohne Protest zu beugen hatte, was selten genug der Fall war, oder Eingriffe in die Flora aufgrund in Botanischen Gärten gemachter Erfahrungen. Auch die Forschung konzentrierte sich mehr auf die Bestandsaufnahme der vorhandenen Bäume und deren Potenzial als Rohstoffe als auf deren ökologische Position im Gesamtgefüge der regionalen Pflanzen- und Tierwelt.

 

Wissenschaft und Wirtschaft

Die wissenschaftliche Erschließung der Wälder und Landschaften in den Kolonien bot Hürden geographischer und kultureller Natur. Daher waren Forscher wie Moritz Büsgen und Fritz Jentsch während ihrer Reisen auf die Unterstützung der Kolonialregierungen angewiesen – viel mehr noch aber auf die lokal vorhandene Expertise. Außerdem produzierten diese Forschungsreisen nicht nur Resultate zur weiteren Nutzung an der Universität, wie etwa in den von Büsgen gegebenen Kursen und Vorlesungen. Es wurden auch Reiseberichte verfasst, welche über die wissenschaftliche Erkenntnisfindung hinausgingen. In seinem für das KWK angefertigten Reisebericht über die Reise durch Kamerun, der 1909 gedruckt wurde, eröffnet sich ein Blick in die Abläufe einer solchen Forschungsreise.

Im Zentrum der meisten wissenschaftlichen Untersuchungen stand die Bewertung möglichen nutzbaren Baumbestandes. Dieser wurde in „primären“, also „unberührten“ Wald, und „sekundären“, sprich für Ackerland gerodeten und aus jungen Bäumen gewachsenen Wald, unterteilt. Inwiefern dieser Wald „unberührt“ war, wurde nicht weiter ausgeführt, und lediglich die Dichte des Baumbewuchses diente als Maßstab für die Zuordnung zu einer der beiden Kategorien. Diese Kategorisierung ließ andere Nutzungsformen der Wälder, etwa im Rahmen religiöser Rituale, die aber nicht das Schlagen von Bäumen erforderten, unerwähnt. Sie wurden für die forstwissenschaftliche Forschung nicht als wichtig erachtet. Büsgen berichtete vom Anlegen von Herbarien zur besseren Untersuchung der jeweiligen Gebiete, vom Katalogisieren der aufgefundenen Pflanzen und von Versuchen, ihren Nutzen zu erschließen.

Hierbei wurde sich oftmals auf die Expertise von Intermediaries gestützt, deren Leistungen in Büsgens und Jentschs Reisebericht teilweise auch Erwähnung fanden. Auch verwendeten die Forscher lokal gebräuchliche Namen für Pflanzen, sofern sie nicht bereits nach europäischer wissenschaftlicher Praxis katalogisiert waren. Diese Namen brachten sie vor allem durch die lokalen Experten in Erfahrung, namentlich den Tischler Eteki, der im Reisebericht immer wieder genannt wird. Dies lässt das Ausmaß der Beteiligung der lokalen Bevölkerung erahnen, die über die Rolle von namenlosen und oft kaum erwähnten Trägern hinausging. So gab Eteki Auskunft über den Nutzen der unterschiedlichen Bäume, den weder Büsgen und Jentsch kannten. Schwierigkeiten entstanden hierbei vor allem durch das unterschiedliche Verständnis, nach welchen Kriterien etwa eine Baumart bezeichnet wurde. In Kamerun beispielsweise wurden Bäume zum Teil nach ihrem Zustand und nicht nach der Zugehörigkeit zu einer Pflanzenfamilie benannt, was somit eine größere Vielzahl an unterschiedlichen Baumarten miteinschließen konnte.

 

Diese Aufnahme, die von Moritz Büsgen während seiner Reise durch Kamerun 1908 aufgenommen wurde, diente im Kontext des anschließend veröffentlichten Reiseberichts der Illustrierung des sogenannten „sekundären Urwalds“. Die beiden ebenfalls zu sehenden Männer werden im Bericht hingegen nicht erwähnt, obwohl ihre Körperhaltung und der direkte Blick in die Kamera darauf schließen lassen, dass sie nicht zufällig mitabgelichtet wurden, vielleicht sogar explizit abgelichtet werden wollten oder auch vom Fotographen so in Szene gesetzt wurden.[Abb.1]

 

Während dieser Bestandsaufnahmen wurde auch eine Einschätzung dahingehend vorgenommen, wie der vorgefundene Wald, wenn er bereits wirtschaftlich genutzt wurde, für eine größtmögliche Produktivität verändert werden könnte. Dazu gehörte der Aufbau einer Forstverwaltung in den deutschen Kolonien, welche aber nur in wenigen Regionen – wenn überhaupt – durchgesetzt werden konnte. Diese sollte die Nutzung und den Holzschlag regulieren und somit die Versorgung der lokalen Wirtschaft mit Rohstoffen sicherstellen. In ihrem Reisebericht nennen die beiden Forscher auch Beispiele aus dem Bereich der Holzverarbeitung, so etwa die Werkstatt der Baseler Mission, in der Möbel für Eigengebrauch und Verkauf hergestellt wurden. Das Holz wurde von lokalen Arbeitern geschlagen und von der Mission aufgekauft, welche nur besonders starke Stämme auswählte. Neben lokalen Hölzern wie etwa dem Njábibaum wurden auch amerikanische Pitch Pine oder Nordische Fichten verwendet. Bei dieser Werkstatt handelte sich also um einen Ort, an dem sich Forstwissenschaft, koloniale Machtansprüche, internationale Wissens- und Wirtschaftsnetzwerke und die Missionsarbeit überschnitten.

 

Koloniales Erbe der Forstwissenschaften

Der Name Moritz Büsgen findet sich heute am Nordcampus der Göttinger Universität vielerorts wieder. In der Büsgenstraße liegt auch das Büsgen-Institut. Hierbei handelt es sich um eine Abteilung der Forstwissenschaftlichen Fakultät, die sich mit Waldökosystemen und Biodiversität auseinandersetzt und nach dem Forscher benannt ist. Nur dem/der Kundigen bietet sein Name allerdings einen Hinweis auf die Verbindung zwischen der Forstwissenschaft und der Kolonialzeit.

Der Büsgen-Weg zwischen dem Göttinger Nordcampus und dem Experimentellen Botanischen Garten.[Abb.2]

Viel subtiler, vielleicht aber auch wirkmächtiger findet sich das koloniale Erbe eher in der Ausdifferenzierung der einzelnen Disziplinen wieder. Im Fall der hier besprochenen Forstwissenschaften ist diese Entwicklung eng mit der Forschung Moritz Büsgens verknüpft. Durch seine Lehrtätigkeit an der Forstakademie Hannoversch Münden und seine Reisen profitierten sowohl die Studenten als auch das Fach selbst von den kolonialen Verbindungen. Nicht zuletzt die Entstehung der tropischen Forstbotanik, basierend auf seinen Forschungen, legt Zeugnis davon ab. Darüber hinaus zeugen die Erkenntnisse aus der Holzverarbeitung oder die Versuche einer Forstverwaltung nach „deutschem“ Vorbild in den Kolonien davon, in welchem Maße die Forschung wirtschaftlich orientiert war. Somit unterstützte die Forstwissenschaft direkt und indirekt die Methoden der Kolonialverwaltung und konnte ihrerseits ihr Wissen beträchtlich erweitern. Beides geschah allzu oft auf Kosten der lokalen Bevölkerung, für die diese Vorgänge starke Eingriffe in ihren Lebensalltag, ihre Wirtschaftsformen und zuweilen auch in ihre Gesellschaftsordnung hinnehmen mussten.

 

Von Frederik Prush

 

 

Literaturhinweise

John Dargavel/Elisabeth Johann, Die Geschichte der Forstwissenschaft – eine Geschichte der Hoffnung, Remagen 2018.

Michael Flitner (Hg.), Der deutsche Tropenwald. Bilder, Mythen, Politik, Frankfurt a.M. 2000.

Richard Hölzl, Wald als lokale und globale Ressource – 250 Jahre Waldgeschichte zwischen Ökonomie und Ökologie, in: Birgit Angerer (Hg.), Das richtige Holz, Regensburg 2019.

Lars Kreye, Replanting the World. Colonial Forestry in the German "Kaiserreich" 1884–1918, in: Bernd Herrmann/Christine Dahlke (Hg.), Elements – Continents. Approaches to Determinants of Environmental History and Their Reifications Halle (Saale) – Stuttgart 2009, 295–297.


Abbildung

[Abb.1]  Moritz Büsgen/Fritz Jentsch, Forstwirtschaftliche und forstbotanische Expedition nach Kamerun und Togo, in: Beihefte zum Tropenpflanzer Nr. 4/5 (1909), 224. Urheber: Moritz Büsgen/Fritz Jentsch (Eigener Scan).Rechtlicher Hinweis: Eigener Scan. Rechtlicher Hinweis: Beide Urheber sind seit über 70 Jahren tot. Es handelt sich demnach sehr wahrscheinlich um ein gemeinfreies Werk (Lizenz: Public Domain [CC0 1.0 Universal, PD-Old, PD-US]).

[Abb.2] Foto: Privatbesitz von Merle Ayecke (2020).