Diese Website ist im Rahmen eines Seminars entstanden, welches 2019 an der Universität Göttingen stattgefunden hat. Im Mittelpunkt des Seminars „Universität und Kolonialismus – das Beispiel Göttingen“ stand die Frage, wie Wissenschaft und Kolonialismus zusammenhängen. Dies wollten wir am Beispiel der Universität Göttingen beantworten, indem wir einzelnen Forschern, die etwa aufgrund von Expeditionen, Rasseforschung und anderen Studien mit kolonialen Strukturen verbunden waren, genauer nachgehen. Wir haben nach kolonialen Spuren in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen gesucht: Inwiefern war etwa die Tropenmedizin eine Wissenschaft, die direkt und indirekt mit dem Kolonialismus verbunden war, diesen vielleicht beförderte oder auch legitimierte? Was haben die Forstwissenschaft, die Botanik oder auch Iranistik dazu beigetragen, koloniale Herrschaft zu stützen?

Konnten wir uns in Bezug auf allgemeinere Fragen, die etwa ganze Disziplinen betrafen, durchaus auf eine wachsende Forschung stützen, die seit geraumer Zeit genau dieser Frage nach dem Zusammenhang von Wissenschaft und Kolonialismus nachgeht, so mussten wir in Bezug auf konkrete Personen und die spezifische Situation in Göttingen selber nach bisher noch nicht gesichtetem gedrucktem und ungedrucktem Material suchen. Vieles konnten wir nur oberflächlich erfassen und es wird weiteren Forschungen vorbehalten bleiben, all jene Disziplinen und Forschenden, die hier ungenannt bleiben mussten, genauer zu untersuchen.

Die Interpretation von Dokumenten, die im Kolonialismus entstanden und deshalb durch einen Blick geprägt sind, der von der Minderwertigkeit außereuropäischer "Rassen" ausgeht, hat viele Fragen aufgeworfen, die im Seminar intensiv diskutiert, aber keineswegs immer konsensual beantwortet werden konnten. Unbestritten blieb, dass noch viel Forschung nötig ist, um die vielen namenlosen ExpertInnen vor Ort zu identifizieren, die ihr Wissen über Botanik und Zoologie an die EuropäerInnen weitergaben oder einfach nur Hinweise gaben, wo genau geologische Funde zu machen, ethnographisch Spannendes oder seltene Tiere zu finden sind. Unbestritten blieb auch, dass wir über die genauen Forschungsvorgänge vor Ort noch viel zu wenig wissen: darüber, wie gewaltsam der Erwerb, das Sammeln, der offene Raub von Ethnographica oder auch von menschlichen Überresten abliefen; was es für manche Frauen bedeutet haben mag, von einem europäischen Mediziner mit eigentümlichen Geräten vermessen zu werden, und wie viele einheimische Träger bei den wissenschaftlichen Expeditionen gestorben sind. Und schließlich zeigte sich, wie schwierig es ist, eine angemessene Sprache zu finden, ohne damit unter der Hand erneut kolonialen Perspektiven Vorschub zu leisten. Nicht weniger Sensibilität erforderte die Verwendung der zeitgenössischen Fotographien, die meist allein durch Auswahl der Sujets bestehende Rassestereotype verstärken und dabei suggerieren, sie würden Realität wiedergeben.

Anderes wurde kontrovers diskutiert. So war manchen Studierenden die Frage, ob und wenn ja, wie die kolonialen Strukturen in den Wissenschaften bis heute fortbestehen, zentraler als anderen. Und doch bestand Einigkeit darüber, dass eine kritische Hinterfragung auch der aktuellen wissenschaftlichen Grundannahmen und Forschungspraktiken gerade vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte dringend notwendig ist.

Ein solches Projekt kann nicht mehr als ein Anfang sein. Wir wissen noch zu wenig darüber, wie viel die jeweiligen wissenschaftlichen Disziplinen den kolonialen Strukturen verdanken und wie stark koloniale Perspektiven unsere Art der Wissenschaft bis heute bestimmen.

Diese Website ist deswegen auch nur ein erster Anfang, der insofern fortgesetzt werden soll, als andere Disziplinen andere Forscher und vielleicht auch Forscherinnen, die nach unserem jetzigen Kenntnisstand in Göttingen in kolonialen Kontexten kaum eine Rolle spielten, in den Blick genommen werden sollen. Auch hoffen wir, viel mehr lokale ExpertInnen aus den ehemaligen Kolonien aufspüren zu können, um so auch deutlich zu machen, wie viel Forschungen jedweder Art stets – meist allerdings ungewollte – Koproduktionen waren. Und wir hoffen, dass deutlich wird, dass Göttingen nur ein Beispiel für einen europäischen Wissensstandort ist, der belegt, wie eng die Entstehung wissenschaftlicher Disziplinen mit dem Kolonialismus verwoben war und teilweise bis heute ist.

 

Zwei Schlussbemerkungen: Wir haben uns entschieden, weitgehend das Binnen-I zu verwenden. An Stellen, an denen wir die Teilnahme von nicht-männlichen Personen ausschließen konnten, verwenden wir nur das Maskulinum. Der Beitrag über die Die Stadt Göttingen im Kolonialismus geht in weiten Teilen auf ein Seminar aus dem Jahr 2018 zurück, aus dem auch eine Ausstellung entstanden ist.

 

Von Rebekka Habermas

 

AutorInnen

Merle Ayecke, Oliver Behrends, Gregor Christiansmeyer, Peer Yousif Diercks, Albert Feierabend, Lena Glöckler, Larissa Goltz, Rebekka Habermas, Kilian Knop, Miriam Langer, Lukas Liebich, Annika Mittelstädt, Benito Mucé, Sara Müller, Iris Elisabeth Olszok, Charlotte Prauß, Frederik Christian Prush, Julian Alexander Prush, Naima Tiné, Andreas Günter Weis und Jan zum Mallen

 

Daneben haben Studierende des Bachelor-Seminars "Göttingen Postkolonial" zu dieser Website beigetragen. In dessen Rahmen fand im Wintersemester 2017/2018 eine Ausstellung mit dem Titel "Göttingen - eine Kolonialmetropole?" statt, die von Lena Glöckler, Prof. Dr. Rebekka Habermas und Dr. Karolin Wetjen organisiert wurde:

Kira Engelke, Jennifer Frank, Thorben Langer, Maria-Frederika Mandt, Johannes Uhlig, Gabriel Walter, Andreas Günter Weis

 


Beide Seminare wurden mit Studienqualitätsmitteln der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität unterstützt, wofür wir hier danken möchten.

 

Unser Dank gilt
dem Universitätsarchiv Göttingen,
dem Sammlungsportal der Universität Göttingen,
dem Stadtarchiv Göttingen,
dem Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin,
dem DITSL Archiv Witzenhausen,
der Digitalen Sammlung Deutscher Kolonialismus der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen
sowie dem Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main