Samoa. Der Platz an der Sonne?

Samoa galt im Kaiserreich als dessen schönste Kolonie und wurde als Paradies angesehen. Umso glücklicher muss der Astronom Otto Tetens gewesen sein, als ihn die Göttinger Königliche Gesellschaft der Wissenschaften 1902 nach Samoa entsandte. Tetens war ganz offensichtlich fasziniert von seinem neuen Arbeitsort. Diese Faszination schlug sich in zahlreichen Fotografien wieder, die die Insel und ihre EinwohnerInnen zeigen. Die Samoainseln sind eine pazifische Inselgruppe in Polynesien. Dieser Artikel soll einen Überblick über die Geschichte Samoas geben. Zudem werden die kolonialen Verbindungen zwischen dem Deutschen Kaiserreich und dem heutigen Inselstaat untersucht. So unterscheidet sich der in Samoa betriebene Kolonialismus stark von anderen Kolonien. Auch die Ursachen dieser Unterschiede gilt es zu erläutern.

 

Kurze Geschichte Samoas

Über die Geschichte Samoas, das aus einer Reihe von Inseln im Südpazifik besteht, ist vor dem Kontakt zu Europa wenig überliefert. Als gesichert gilt, dass die Inseln um etwa 1000 v.Chr. besiedelt wurden. In den darauffolgenden Jahrhunderten bildeten sich intensive Beziehungen zu den umliegenden Regionen. Im Jahr 1722 begegneten die BewohnerInnen Samoas zum ersten Mal einem Europäer und nach weiteren Begegnungen galten die SamoanerInnen unter europäischen Reisenden als kriegerisches und wildes Volk. Diese Ansicht wandelte sich während des 18. Jahrhunderts. Tropische Inseln wurden in der europäischen Literatur vermehrt als Paradiese dargestellt. Diese Vorstellungen beeinflussten die europäische Sicht auf die Inseln, welche man sich nun oft als Orte für ein glücklicheres Leben vorstellte. Im 19. Jahrhundert wurde Samoa missioniert. Einheimische Missionare vermischten verschiedene religiöse Traditionen aus Ozeanien mit den Vorstellungen des Christentums. Daraus formte sich schließlich eine ganz eigene Religion.

Die samoanische Gesellschaft war anhand einer Hierarchie von Abstammungslinien organisiert. Zwischen den verschiedenen Abstammungen bestand eine klare Rangfolge innerhalb der Gesellschaft. An der Spitze jedes Haushalts stand ein sogenannter „matai“. Die „matai“ regelten in einem Rat die Organisation des dörflichen Lebens. Über diesen Räten gab es keine zentrale politische Institution. Dörfer waren teils in regionalen Distrikten verbunden, diese Verbindungen waren jedoch eher instabil. In der samoanischen Kultur spielten Titel eine sehr wichtige Rolle. Diese wurden nicht durch familiäre Vererbung an die nächste Generation übertragen, sondern konnten nach dem Willen des Besitzers übergeben werden. Die Titel waren von großer Wichtigkeit, weil sie über die Verteilung von Macht und Land bestimmten. Wer einen Titel für sich beanspruchen konnte, war somit in der Lage, weitreichende Ansprüche geltend zu machen. Aus diesem Grund formten sich Machtkämpfe zwischen verschiedenen politischen Verbündeten, welche auch im bewaffneten Konflikt enden konnten.

Vor dem Eingreifen europäischer Staaten war das Gebiet Ozeanien ein eng vernetzter Raum. Die Inseln standen in intensivem Handel und kulturellem Kontakt. In Europa hingegen interpretierte man diese Begebenheiten falsch und nahm die einzelnen Inseln oftmals als isolierte Gebiete war. Dementsprechend wurde Ozeanien erst durch den Einfluss des Kolonialismus aus Europa in unterschiedliche Regionen eingeteilt.

 

Die europäische Sicht auf Samoa

Der deutschen Herrschaft über Samoa ging also nicht nur eine lange Geschichte, sondern auch ein intensiver Kontakt zu einer ganzen Reihe von Kontinenten voraus. In den 1870er Jahren, bevor die Deutschen die politische Kontrolle über Samoa übernahmen, führte dieser Kontakt zu weitreichenden Veränderungen in Samoa. Ein Beispiel ist die Konvertierung weiter Teile der Bevölkerung zum Christentum. Zudem kleideten sich schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts die meisten SamoanerInnen nach europäischer Art, anstatt auf bis dato übliche samoanische Weise.

Ein wichtiger Aspekt, welcher zur besonderen Stellung der Kolonie beitrug, war das in Europa weit verbreitete Konzept des „edlen Wilden“. Die SamoanerInnen wurden als grundsätzlich herzensgute Menschen definiert, denen es allerdings an Zivilisation mangle. Dieser Mangel bedeutete jedoch nicht unbedingt etwas Negatives, vielmehr wurden die „edlen Wilden“ als glücklichere Menschen im Vergleich zu den „zivilisierten“ EuropäerInnen imaginiert. In dem Konzept vermischten sich negative Vorstellungen über den Alltag der industrialisierten Welt in Europa mit einer Romantisierung und Mythisierung des Fremden. Zivilisation wurde als etwas definiert, das den Menschen verderbe. Der „edle Wilde“ war im Gegensatz dazu ein naturverbundener und ursprünglicherer Mensch.

Des Weiteren wurden die BewohnerInnen der kolonisierten Inseln anhand der Rassevorstellungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Rassekategorien aufgeteilt. In diesen rassistischen Vorstellungen kam den SamoanerInnen eine höhere Stellung zu als vielen Bevölkerungsgruppen in anderen ozeanischen Kolonien. Diese Sonderstellung lässt sich unter anderem an der Akzeptanz von Beziehungen zwischen der lokalen Bevölkerung und deutschen Kolonialisten erkennen. Während solche Beziehungen in vielen afrikanischen Kolonien zwar häufig vorkamen, waren sie dort dennoch nicht offiziell akzeptiert. Oftmals wurden diese Beziehungen als ein offenes Geheimnis behandelt. Auf Samoa hingegen waren sie weitgehend akzeptiert und Ehen zwischen samoanischen Frauen und deutschen Kolonialbeamten waren nichts Ungewöhnliches. Diese waren in der Gesellschaft akzeptiert, so finden sich in der Sammlung von Otto Tetens viele Fotos von solchen Ehepaaren und ihren Familien. Die samoanischen Frauen galten im Kaiserreich als besonders schön und begehrenswert.

 

Der deutsche Kolonialismus auf Samoa

Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Streit um die Kontrolle über Samoa zwischen Großbritannien, den USA und dem Deutschen Kaiserreich gelöst. Jede dieser Mächte beanspruchte Samoa für sich, man kam jedoch zu einem Kompromiss. Die Vereinigten Staaten nahmen den östlichen Teil in ihren Besitz und das Deutsche Reich den westlichen. Das britische Empire erhielt im Gegenzug eine Reihe von anderen Inseln als „Entschädigung“. Nach der Lösung des Konflikts im Jahr 1899 begann man schnell mit der Etablierung einer kolonialen Regierung auf der Insel.

 

Sitz des deutschen Gouverneurs in Vailima bei Apia auf Samoa mit gehisster Flagge des Deutschen Kaiserreichs. Das Jahr der Aufnahme ist unbekannt. [Abb.1]

 

Trotz der besonderen Stellung Samoas war das übergeordnete Ziel der deutschen Kolonialregierung  wie in allen Kolonien: Der ökonomische Gewinn aus der Kolonie sollte maximiert werden. Bereits im späten 19. Jahrhundert hatten die europäischen Mächte versucht, die Insel ihre wirtschaftlichen Interessen zu fördern. Die Kolonialbeamten arbeiteten eng mit der samoanischen politischen Elite zusammen, wobei die eigentliche Macht jedoch stets in den Händen der deutschen Beamten verblieb. Eine aufkeimende Unabhängigkeitsbewegung wurde durch die Regierung ohne Blutvergießen niedergeschlagen. Zudem orientierte sich der Gouverneur bei der Bestrafung der Aufständischen weitgehend an dem, was man in Europa zu der Zeit für der samoanischen Rechtsauffassung hielt: Anstatt sie zum Tode zu verurteilen, entschied er sich dafür, sie von Samoa zu verbannen. Einige Jahre später wurde den Verbannten jedoch nach und nach erlaubt, wieder nach Samoa zurückzukehren. Verglichen mit anderen deutschen Kolonien verliefen die Konflikte auf Samoa weniger blutig. In den afrikanischen Kolonien war das Kaiserreich in blutige Konflikte verwickelt. In "Deutsch-Südwestafrika" wurden Aufstände brutal bekämpft, wobei es unter anderem zum Genozid an den Herero und Nama kam.

Trotzdem agierte die Regierung auf Samoa sehr repressiv. Obschon die Kolonialregierung offiziell erklärte, man wolle die politische Kultur Samoas  nicht verändern, griff die Kolonialregierung in vielen Fällen direkt in die Politik Samoas ein. So wurden etwa viele politische Positionen, wie beispielsweise das Königsamt, abgeschafft. Zudem mischte sich die Kolonialregierung mit der Schaffung der Land and Titles Commission direkt in die etablierten Machtsysteme ein. Diese Kommission sollte Recht über die häufigen Konflikte um Titel- und Landansprüche sprechen, um gewalttätige Auseinandersetzungen zu vermeiden. Um 1900 hatte sich die samoanische Kultur durch den Kontakt zu Europa stark verändert. Insgesamt lässt sich das Vorgehen der deutschen Kolonialregierung als eine von der Kolonialmacht betriebene Vermischung von Teilen samoanischer Tradition und deutscher Staatlichkeit beschreiben. Das hieß aber auch, dass der deutsche Kolonialismus nicht nur politisch repressiv war, sondern auch SamoanerInnen ganz selbstverständlich jeglichen Mitspracherechts über ihre Heimat beraubte.

Karte der Samoa-Inseln um circa 1888.[Abb.2]

 

Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs zerfiel das deutsche Kolonialreich. Samoa war das erste Gebiet, welches besetzt wurde. Bereits 1914 übernahmen neuseeländische Truppen die Kontrolle über die Insel. Einige Jahre später kam es zur größten Tragödie in der Geschichte Samoas. Das Schiff Talune, auf welchem die spanische Grippe grassierte, erreichte Samoa. Trotz der Krankheit wurde dem Schiff das Anlegen im Hafen erlaubt. Die Seuche griff auf die Insel über und breitete sich mit rasender Geschwindigkeit aus. Die Lage geriet durch das Versagen der Administration völlig außer Kontrolle. Es herrschte ein Mangel an Ärzten, Medikamenten und Nahrung. Dem Großteil der SamoanerInnen blieb jegliche medizinische Hilfe verwehrt. Schon bald kam man in der Hauptstadt Apia nicht mehr mit den Bestattungen hinterher. Insgesamt geht man heute davon aus, dass zwischen 20 und 25 Prozent der Gesamtbevölkerung durch die Spanische Grippe ums Leben kamen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verblieb Samoa zunächst in der Verwaltung Neuseelands, bis es 1962 seine Unabhängigkeit wiedererlangte.

 

Samoa in Göttingen

In Göttingen gibt es nur wenige Orte, die an die koloniale Vergangenheit in Samoa erinnern. Die ehemaligen Göttinger Verbindungen zur Insel im Pazifik, auf der immerhin im Auftrag der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften 1902 ein Observatorium errichtet worden war, scheinen beinahe vollständig vergessen. Einer der wenigen Orte in der Stadt, der auf die Existenz dieser kolonialen Vergangenheit hinweist, ist die sogenannte „Samoa-Hütte“. Diese befindet sich etwas außerhalb der Stadt, am Rande des Stadtwaldes  und ist nur wenigen Leuten bekannt. Das Gebäude gehört zu Göttingens Erdbebenwarte und wird auf der zugehörigen Webseite als „Souvenir der Zusammenarbeit“ bezeichnet.[1]

Die "Samoa-Hütte" bei der Wiechert'schen Erdbebenwarte Göttingen.[Abb.3]

Die stärkste Verbindung zu Samoa wurde durch die Universität Göttingen zur Zeit des Kolonialismus geschaffen, als man Otto Tetens und weitere Mitarbeiter mit der Errichtung einer Station auf der Insel beauftragte. Dort sollten die Wissenschaftler verschiedene meteorologische und astronomische Experimente und Beobachtungen durchführen. So hielt Tetens etwa die Beobachtung einer Sonnenfinsternis fotografisch fest. Diese Verbindung brach jedoch mit dem Ende des deutschen Kolonialreichs zusammen und geriet in Vergessenheit.

 

Von Oliver Behrends

 

 

Literaturhinweise

Kees van Dijk, Pacific Strife. The Great Powers and Their Political and Economic Rivalries in Asia and the Western Pacific 1870–1914, Amsterdam 2001.

Peter Hempenstall, Pacific Islanders under German Rule. A Study in the Meaning of Colonial Resistance, Acton 1978.

Hermann Joseph Hiery, The Neglected War. The German South Pacific and the Influence of World War I, Honolulu 1995.

Christiane Niggemann, Samoa 1904. Menschen, Landschaft und Kultur im Süd-Pazifik vor Hundert Jahren, Fotos von Otto Tetens in Samoa 1902–1905, Bochum 2004.

Tobias Sperlich, Samoa in Miniatur. Fotografien als koloniale Informationsquelle über das Leben in der Südsee, in: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotographie 128 (2013), 15–24.

George Steinmetz, The Devil’s Handwriting. Precoloniality and the German Colonial State in Qindao, Samoa, and Southwest Africa, Chicago 2007.

Tamasailau Suaalii, Deconstructing the ‚Exotic’ Female Beauty of the Pacific Islands, in: Alison Jones (Hg.), Bitter Sweet. Indigenous Women in the Pacific, Otago 2000.

 


[1]Wiechert‘sche Erdbebenwarte Göttingen, Samoa-Hütte, online unter: https://www.erdbebenwarte.de/samoa-huette/ (Letzter Zugrifff: 17.2.2020)


Abbildungen

[Abb.1] Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer: 043-4021-02 . Trotz intensiver Bemühungen konnte kein/e UrheberIn ermittelt werden, eventuelle RechteinhaberInnen bitten wir um Benachrichtigung.

[Abb.2] Online unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Meyers_b14_s0260a.jpg (Letzter Zugriff: 15.4.2020). Urheber: Joseph Meyer. Lizenz: Public Domain (CC0 1.0 Universal, PD-Old, PD-US).

[Abb.3] Foto: Privatbesitz von Merle Ayecke (2020).