Schahdad Khan wurde vermutlich 1879 in der Stadt Soran im Fürstenstaat Kalat auf dem Gebiet der heutigen pakistanischen Provinz Belutschistan geboren. Damals war diese Region Teil des britischen Kolonialreichs in Südasien. Khan besuchte verschiedene Schulen und trat als 21-Jähriger in die British Indian Army ein. Er hatte schon fast fünfzehn Jahre lang als Soldat gedient, als er gleich zu Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 als Teil des 129th Baluchis Regiment nach Europa gelangte, wo Großbritannien seine Truppen durch zusätzliche Kräfte aus seinen kolonial beherrschten Gebieten zu verstärken suchte. Khan kämpfte fortan an der französischen Westfront und wurde schon nach wenigen Monaten von deutschen Truppen gefangengenommen. Die Umstände seiner Gefangennahme sind nicht restlos aufzuklären; sie erfolgte vermutlich am 20. Dezember 1914 infolge der Schlacht von La Bassée.

Innerhalb kürzester Zeit gelangte Schahdad Khan nach Wünsdorf, das deutsche, unweit von Berlin gelegene Gefangenenlager, wo er im sogenannten „Halbmondlager“ interniert und zur Zielscheibe politischer Propaganda und wissenschaftlichen Forschungsdrangs wurde. Im Zuge der Arbeiten der Königlich Preußischen Phonographischen Kommission (KPK) entstanden zwischen 1916 und 1917 insgesamt fünf Tonaufnahmen, auf denen Khans Stimme in Form von Liedern und Erzählungen aufgezeichnet ist. Der Iranist Friedrich Carl Andreas, Professor an der Göttinger Universität und Mitglied der KPK, sah in Khan eine wertvolle Ressource für weiteres sprachliches Material und sorgte im April 1917 für dessen Verlegung in das Göttinger Kriegsgefangenenlager Ebertal. So schuf er die notwendigen Voraussetzungen dafür, für ihn weitgehend unbekannte Sprachen (neben dem Belutschi auch das drawidische Brahui) mit Hilfe Schahdad Khans intensiv erforschen zu können.

Khan befand sich insgesamt mindestens dreieinhalb Jahre lang in deutscher Kriegsgefangenschaft, die für ihn umfassende Entmachtung, Fremdbestimmtheit und einen Alltag unter prekären Bedingungen bedeutete. Die deutschen Wissenschaftler sahen in ihm mehr Forschungsobjekt denn Individuum und nutzten die Zwangslage, in der er sich als Kriegsgefangener befand, für ihre Zwecke. Wie Khan die Zeit seiner Kriegsgefangenschaft im Kaiserreich erlebte, kann nur in Ansätzen nachvollzogen werden und muss in vielerlei Hinsicht unbekannt bleiben.

Schahdad Khan verstarb (vermutlich im August) 1918 in Göttingen an Tuberkulose und liegt auf dem Göttinger Stadtfriedhof begraben. Sein Anteil an den Sprachforschungen, die in Wünsdorf und Göttingen stattfanden, wurde in keiner der Publikationen, die auf Grundlage des dort zusammengetragenen Materials entstanden, erwähnt. Die Forschungssitzungen und deren Produkte stellten eine Koproduktion von Gefangenen und Wissenschaftlern dar. In der anschließenden Darstellung wurden sie jedoch – das zeigen auch viele Beispiele aus Wünsdorf – zur individuellen Leistung einzelner deutscher Wissenschaftler.

 

Von Lena Glöckler

Eine Steinzeichnung von Schahdad Khan um 1917.[Abb.1]

 


Abbildung

[Abb.1] Felix von Luschan, Kriegsgefangene. Ein Beitrag zur Völkerkunde im Weltkriege/Einführung in die Grundzüge der Anthropologie und Hundert Steinzeichnungen von Hermann Struck, Berlin 1917, 180. Urheber: Hermann Struck/Felix von Luschan (Eigener Scan). Rechtlicher Hinweis: Beide Urheber sind seit über 70 Jahren tot. Es handelt sich demnach sehr wahrscheinlich um ein gemeinfreies Werk (Lizenz: Public Domain [CC0 1.0 Universal, PD-Old, PD-US]).