Es muss ungefähr im Jahr 1872 gewesen sein, als die Station der Norddeutschen Mission an der Westküste Afrikas im heutigen Ghana den nicht einmal zehnjährigen Aku aufnahm. Er erhielt Unterricht in Deutsch, Religion, Lesen und Schreiben, und die Missionare erwarteten, ihn bald taufen zu können. Und in der Tat erwies sich Aku als ein wissbegieriger Schüler, der bald vom christlichen Glauben überzeugt werden konnte. Mittlerweile auf den Namen Andreas getauft, wurde er 1884 ausgewählt, um im württembergischen Ochsenbach zusammen mit einigen anderen Afrikanern weiterführend ausgebildet zu werden. Es war das gleiche Jahr, in dem das "Kaiserlich-Deutsche Schutzgebiet Togo" auf der Grundlage fragwürdiger Absprachen mit lokalen Chiefs und nicht weniger fragwürdiger Verträge mit den europäischen Nachbarn gegründet wurde.

Während Aku also in einem württembergischen Dorf Deutsch, die Bibel und beispielsweise den Geburtstag des deutschen Kaisers kennenlernte, veränderte sich seine Heimat grundlegend. Sie wurde zu einem Teil eines neuen Territoriums. Im Westen dieses nun als Kolonie bezeichneten Gebietes hatte ursprünglich das Königreich der Ashante gelegen, im Osten Dahomey, welches angeblich über afrikanische Amazonen verfügt haben soll, und im Süden bildete die Küste, die seit dem 16. Jahrhundert durch den europäischen Sklavenhandel mitgeprägt worden war, eine natürliche Grenze. Das heißt, die neue Kolonie bestand aus vielen sehr verschiedenen Regionen: Im Süden sprach ein Großteil der Bevölkerung Ewe, während es im Norden und Osten mehrere Dutzende anderer Sprachen gab. Im Norden lebten eine ganze Reihe islamischer Schriftgelehrter, die über Karawanenwege enge Verbindungen bis Ostafrika hatten, während sich an der Küste viele aus Brasilien stammende ehemalige afrikanische SklavInnen, die katholisch getauft waren, niedergelassen hatten. Von dort aus hatten sie Handelsnetze bis nach England aufgebaut und versucht, ihre wirtschaftlichen Interessen auch gegen französische Einflüsse, die im Westen stark waren, durchzusetzen. Im Hinterland prägten bäuerliche Landwirtschaften das Bild, viele maßgeblich von Frauen betrieben. Hier hatten sich vielerorts weder Christentum noch Islam gegen den einheimischen Glauben durchsetzen können. Kurzum: Ein Territorium war auf der Grundlage ungleicher Verträge mit verschiedenen Chiefs der Region und nach Rücksprache mit den anderen europäischen Kolonialmächten gebildet worden, das außer durch deutsche Interessen durch nichts zusammengehalten wurde.

Togo nahm genau wie alle anderen Kolonien vorerst nur auf den europäischen Landkarten Gestalt an. Für die überwiegende Mehrzahl der lokalen Bevölkerung ging die Verwandlung ihrer Heimat in eine Kolonie sehr viel langsamer vonstatten, ja gewann häufig erst Jahrzehnte später an Bedeutung. Das lag in erster Linie daran, dass der Aufbau kolonialer Herrschaftsstrukturen, die wirtschaftliche Durchdringung samt Planung und Realisierung von Brückenbauten, Postämtern, Zollstationen und einer Eisenbahnlinie Jahrzehnte dauerte.

Folglich kann man für die deutsche Kolonie Togo, die faktisch bereits im August 1914 aufhörte zu existieren und zu keinem Zeitpunkt viel mehr als dreihundert deutsche Beamte, Händler, Missionare, MedizinerInnen, Krankenschwestern, Missionsschwestern, Diakonissen und Forschungsreisende oder Handwerker anzog, immer nur von „Inseln kolonialer Herrschaft“[1] sprechen. Diese waren jedoch trotz oder vielmehr auch aufgrund ihrer Inselhaftigkeit teilweise Orte großer Gewalt.

 

Das Abkommen zwischen König Mlapa von Togo und dem deutschen Reichskommissar Gustav Nachtigal in Bagida, am 5. Juli 1884. Mit Verträgen dieser Art sicherte sich das Deutsche Kaiserreich unter anderem die Kolonialherrschaft in Togo.[Abb.1]

 

Koloniale Herrschaft in Togo

Nachdem in Lomé der Herrschaftssitz der deutschen Verwaltung an der Küste, mit einem Gouverneur an der Spitze, etabliert worden war, wurden bis zur Jahrhundertwende zehn Bezirke, mit jeweils einer zentralen Bezirksstation und einem Bezirksvorsteher, gebildet. Die Bezirke waren von unterschiedlicher Größe, manche umfassten nur 50.000 andere über eine viertel Millionen BewohnerInnen.  Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie rudimentär die staatliche Präsenz in Anbetracht solcher Größenverhältnisse war: Neben einem Bezirksvorsteher, gab es innerhalb eines Bezirks in der Regel kaum ein halbes Dutzende deutsche Beamte, darunter Polizeisergeanten, Postmeister oder auch sogenannte Bureauvorsteher und Zollbeamte. Für die gesamte Kolonie gab es 1900 eine Polizeitruppe, die aus rund 250 Afrikanern bestand. Diese Männer, häufig freigekaufte Sklaven und Kriminelle, waren nicht immer sehr stringent ausgebildet worden und agierten trotz Drill und starren Gehorsamsregeln keineswegs unbedingt loyal gegenüber den deutschen Kolonialherrn. Im Gegenteil, nicht selten folgten sie einer eigenen Agenda, statt die Befehle der Stationsleiter auszuführen.

Die Stationsleiter selbst waren häufig auf Tournee, das heißt, sie bereisten ihre Bezirke, um diese kennenzulernen, um den Bau von Brücken und Straßen zu überwachen oder um sogenannte Strafexpeditionen gegen jene Bewohner und Bewohnerinnen durchzuführen, die offen oder versteckt gegen die deutsche Herrschaft aufbegehrten. Berücksichtigt man überdies die häufigen Abwesenheiten der Stationsleiter aufgrund von Heimaturlaub oder weil sie nach Lomé reisen mussten, um dort den Gouverneur zu treffen oder auch zu Feierlichkeiten wie Kaisers Geburtstag oder der Einwohnung einer Kirche, so wird deutlich, wie stark die Stationsleiter auf die Unterstützung der lokalen Chiefs angewiesen waren. Diese sollten bestimmte Formen der niederen Gerichtsbarkeit durchführen, aber auch die vom Stationsleiter angeordneten Arbeiten, etwa im Straßenbau, überwachen lassen. In Anbetracht der Tatsache, dass diese Chiefs ebenfalls über eine eigene Agenda und im Unterschied zu den deutschen Stationsleitern in der Regel über gute etablierte und seit Generationen gefestigte Loyalitätsstrukturen verfügten, verwundert es nicht, dass die deutsche Verwaltung immer wieder über mangelnde Unterstützung klagte. Diese Klagen über sogenannte unbotmäßige Chiefs, mangelnde Unterstützung und teilweise offene Verweigerung der ihnen zugewiesenen Aufgaben zeigen, dass die deutsche Kolonialverwaltung faktisch auf die Chiefs angewiesen waren, wollten sie auch nur rudimentär ihre Vorstellungen durchsetzen.

Die Stationsleiter und der Gouverneur waren jedoch nicht nur auf die afrikanischen Polizisten und die Chiefs angewiesen, sondern letztlich auch auf die Bevölkerung, die durchaus über Möglichkeiten verfügte, sich gegen die koloniale Herrschaft zu wehren oder sich dieser zu entziehen. Nicht wenige entzogen sich durch Abwanderung in die Nachbarkolonien, etwa in die englische Goldcoast Kolonie, die besonders für die Ewesprechenden BewohnerInnen attraktiv war, da man dort die gleiche Sprache sprach. Andere verweigerten sich der Herrschaft durch Verheimlichung, Manipulation oder Obstruktion beziehungsweise durch das, was in der Forschung als „defensive Kommunikation“ bezeichnet wird, faktisch handeltet es sich dabei um schlichtes Lügen. Und dann gab es im Alltag auch immer wieder offenen Widerstand. So formulierte Kukowina, ein Chief aus dem Bezirk Atakpame, 1902 einen Beschwerdebrief gegen den dortigen Stationsleiter Geo Schmidt, da dieser die Bevölkerung allzu brutal zur Zwangsarbeit heranziehe. Diese Beschwerde wurde dem Gouverneur Horn nach Lomé gebracht. 

War die koloniale Herrschaft der wenigen Stationsleiter über ein meist von ihnen kaum zu überblickendes Territorium sehr begrenzt, so hieß das nicht, dass diese Herrschaft weniger gewalttätig war. Im Gegenteil, gerade weil es nur so wenig EuropäerInnen gab, aber auch weil es in Togo, das keine Siedlerkolonie war, im Unterschied zu allen anderen deutschen Kolonien kein deutsches Militär gab, ging man hier häufig besonders brutal vor. Man setzte darauf, dass sich diese brutale Behandlung der Bevölkerung schnell herumsprechen, und so abschreckende Wirkung entfalten würde. Überdies gab es eine alltägliche Gewalt, die sich in Demütigungen genauso wie im selbstverständlichen Vollzug der Prügelstrafe zeigte, aber auch darin, dass alle TogolesInnen gezwungen waren, mindestens ein Dutzend Tage im Jahr Zwangsarbeit zu leisten: Sei es, dass sie Eisenbahnlinien anlegen, Beamte in Hängematten transportieren, den Gouverneursgarten pflegen und Polizeistationen bauen mussten.

Herrschaft wurde allerdings nicht nur durch die Stationsleiter ausgeübt. Auch Ärzte, die etwa im Schlafkrankheitslager auf dem Berg Kluto, das 1909 errichtet worden war, Experimente mit schließlich zum Tode führenden Impfstoffen durchführten, übten zweifellos Herrschaft aus, gleichwohl ihre Intentionen vielleicht andere waren. Genauso waren Missionare Teil eines kolonialen Herrschaftsapparats.

 

Mission

In Togo waren neben der Norddeutschen Mission, welche den oben erwähnten Akku 1884 nach Württemberg zur weiteren Erziehung geschickt hatte, der katholische Missionsorden der Steyler aktiv. Insgesamt machten die VertreterInnen der Missionen ein Drittel der deutschen Bevölkerung aus. Gegen Ende der Kolonialzeit hatten jede der beiden Missionen weite Teile der Kolonie mit jeweils über ein Dutzend Missionsstationen durchzogen, die überdies zahlreiche Zweigniederlassungen hatten. Betrachtet man die Mission aus den Augen der Missionare, Missionarsfrauen, Diakonissen und Angehörige der Missionsorden, so zeigt sich, dass das einerseits häufig eine durchaus entbehrungsreiche Arbeit war. Andererseits erfüllte sich hier für manche ein Traum vom Leben in als exotisch imaginierten Welten, der ihnen sonst verwehrt geblieben wäre. Hedwig Rohns etwa, die 1852 in Göttingen geborene Bürgerstocher, die 1900 als Diakonisse nach Togo kam und dort Kindergärten aufbaute, bot sich hier eine für Frauen zu der Zeit sehr rare Möglichkeit, ihre Heimat zu verlassen und ihren Horizont über Europa hinaus zu erweitern, ja einer Arbeit nachzugehen, die zuhause nur ganz wenigen möglich gewesen wäre.

Es war eine Arbeit, in der religiöses und koloniales manchmal nur schwer zu trennen ist. War das zentrale Ziel der Missionare und Missionsbrüder wie -schwestern auch die Konversion zum christlichen Glauben, so lag ihr Hauptarbeitsfeld im schulischen Bereich. Sie waren es, die das koloniale Schulsystem aufbauten, deutsche Sprache vermittelten und damit auch die europäischen Vorstellungen von Zivilisation. Erwähnter Akku, der 1922 der erste Präses der Ewe Kirche wurde, aber auch der 1898 geborene Siru Pedro Olympio, der bei den Steylern eine Ausbildung erhielt und nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland Medizin studierte, verdanken diesem Schulsystem viel. Auch Maria Ga Souza, die nachdem die Deutschen 1914 die Kolonie haben verlassen mussten, ein Kloster der Steyler Missionsschwestern in Togo leitet, profitierte von der Mission: Schriftlichkeit, neue Vorstellungen von der Gleichheit der Menschen, die deutsche und teilweise englische Sprache wurden hier vermittelt. 

Andererseits ging die Arbeit der Mission Hand in Hand mit der teilweise gewaltsamen Zerstörung lokaler Glaubenstraditionen – das geschah auch durch den Raub und die Zerstörung religiöser Objekte, die sie Fetische nannten. Auch erwiesen sich die Missionen in der Regel trotz manch deutlicher Kritik an Kolonialbeamten (insbesondere was ihr zuweilen– zumindest in den Augen der Mission - ausuferndes Sexualleben betraf) als diejenigen, die koloniale Herrschaft mit Verweis auf die vermeintliche rassische Unterlegenheit der afrikanischen Bevölkerung stützen. Ja, sie arbeiten Hand in Hand mit der Kolonialverwaltung, wenn es darum ging deutsche Vorstellungen von Arbeit, Sauberkeit und Gehorsam zu vermitteln. Mehr noch, sie machten sich zum Sprachrohr der sogenannten Erziehung zu Arbeit – ein koloniales Programm, welches dazu diente, die lokale Bevölkerung zur Arbeit auf deutschen Plantagen anzuhalten, ja regelrechte Formen von Zwangsarbeit zu propagieren.

 

Ein Kirchengebäude der Katholischen Mission in Adjido, Togo. Vermutlich um 1897.[Abb.2]

 

Koloniale und andere Ökonomien

Manche TogolesInnen wie der Vater des erwähnten Arztes Siru Pedro Olympio, Octaviano Olympio, waren sehr erfolgreiche Händler und Plantagenbesitzer, mit erheblichem Landbesitz. Die meisten, unter ihnen mehrheitlich Frauen, bewirtschafteten nur kleine Parzellen. Sie bauten Yams, Baumwolle, Bohnen und andere Früchte des alltäglichen Bedarfs an, die sie für die Subsistenz nutzen beziehungsweise auf Märkten, auch jenseits der Grenzen Togos verkauften. Andere waren als Händler von Kautschuk und Palmöl, zwei in Europa, aber auch Afrika begehrte Produkte, unterwegs oder auch als Handwerker vor allem im Textil-, Holz- und Töpfereisektor. Die togolesische Wirtschaft war eng mit derer der Nachbarländer, spätestens seit dem Sklavenhandelt, der an der Küste seit dem 16. Jahrhundert sich etabliert hatte, auch mit der Wirtschaft europäischer Länder und Südamerikas verflochten.

Die deutsche Kolonialregierung, genauso wie die der anderen Kolonialmächte, hatte allerdings nur die eigenen wirtschaftlichen Interessen im Blick. Eines der im Kaiserreich zentralen Argumente für den Erwerb von Kolonien war ökonomisch begründet. Kolonialagitatoren hatten immer wieder behauptet, man sei regelrecht angewiesen auf den Besitz von Kolonien, da man ohne diese wirtschaftlich nicht überleben könne. Man bedürfe neuer Absatzmärkte und neuer Anbaugebiete, etwa für die dringend benötigte Baumwolle, aber auch für Kautschuk oder eben Palmöl. Eine koloniale Wirtschaftsstruktur aufzubauen, hieß also in allererster Linie, Strukturen zu etablieren, die ausschließlich auf die Bedürfnisse des Mutterlandes ausgerichtet waren. Faktisch bedeutete es den Aufbau einer landwirtschaftlichen Exportwirtschaft. Was wiederum, zumindest in den Augen der EuropäerInnen, am sinnvollsten durch die Errichtung großer Monokulturen, Plantagenkulturen, zu leisten war. Solche Plantagenkulturen waren auf eine koloniale Infrastruktur, das heißt vor allem auf schnelle Verkehrswege angewiesen, schließlich mussten die Produkte von den Plantagen an die Küste gebracht werden, von wo sie dann nach Europa verschifft werden konnten. So war es nur folgerichtig für die BefürworterInnen deutscher Kolonien, dass man auch in Togo schnell mit dem Bau einer Eisenbahn, dem Ausbau von Straßen und der Anlage eines neuen Quais im Hafen von Lomé begann.

Eine Karte des Kolonialwirtschaftlichen Komitees, auf dem die koloniale Infrastruktur, Plantagen und Gebiete von "Ausfuhrkulturen" wie Erz, Rindvieh oder Kautschuk verzeichnet wurden.[Abb.3]

 

Am wichtigsten war aber die Anlage der Plantagen selbst. Verschiedene Plantagengesellschaften wurden gegründet, um dort im großen Stil etwa Palmen, Kaffee oder Kakaopflanzen anzubauen. Die Erfolge dieser Unternehmungen waren überschaubar. Viele scheiterten nicht nur daran, dass die EuropäerInnen wenig oder gar keine Ahnung von den lokalen Wetterbedingungen, der Bodenbeschaffenheit und den Eigenheiten der jeweiligen Pflanzen beziehungsweise den Gefahren, die von Schädlingen ausgehen konnten, hatten. Noch weniger hatten sich diese Gesellschaften mit der Frage beschäftigt, wie man ArbeiterInnen für die alles andere als leichte Plantagenarbeit gewinnen könne, was eine angemessene Entlohnung sei und welche Vorstellungen überhaupt in der Region von Arbeitsorganisation herrschten. Die Folge war ein eklatanter Mangel an ArbeiterInnen. Nur sehr wenige waren bereit, unter den schlechten Arbeitsbedingen ihre bisherige Wirtschaftsform, sei diese bäuerlicher, handwerklicher oder kaufmännischer Natur gewesen, aufzugeben, um für einen Hungerlohn für die Deutschen zu arbeiten. Immer mehr Plantagen mussten schließen.

Währenddessen diskutierte man in Europa zu dem Thema der „kolonialen Arbeiterfrage“, wie man möglichst billig möglichst viele Menschen dazu bewegen könnte auf den Plantagen zu arbeiten. Eine der Vorschläge war die sogenannte „Eingeborenenkultur“, die man schließlich in Togo in einem großangelegten Baumwollvolkskulturprojekt versuchte durchzusetzen. Im Kern ging es dabei darum, statt auf große von Deutschen geleitete Plantagen zu setzen, die einheimische Bevölkerung anzuleiten, auf eigenem Grund und Boden, Baumwolle in eigener Regie anzupflanzen. Dies sollte unter Anleitung auswärtiger ExpertInnen geschehen und auch nach Prinzipien, die wenig mit den lokalen Traditionen des Baumwollanbaus, geschweige denn der Arbeitsorganisation zu tun hatte. Initiiert vom deutschen Kolonialwirtschaftlichen Komitee, einer Lobbygruppe kolonialinteressierter Wirtschaftsunternehmer, wissenschaftlich unterstützt von deutschen Sozialwissenschaftlern wie Max Weber, wurden schließlich im Jahr 1900 drei schwarze Amerikaner, die in der Landwirtschaftsschule Tusgekee ausgebildet worden waren, nach Togo geholt. Sie sollten der togolesischen Bevölkerung beibringen, die ihrerseits bereits seit vielen Jahren Baumwolle angebaut hatte, wie man Baumwolle so anbaut, dass möglichst gute Qualität in möglichst hoher Quantität in möglichst kurzer Zeit geerntet werden kann. Dabei verwendete man nicht nur amerikanische Baumwollsamen, die als hochwertiger als einheimische Samen galten, sondern auch landwirtschaftliche Anbaumethoden, die in Togo bisher fremd waren. Man argumentierte, dass nur so, mit amerikanischen Samen und Methoden aus der sogenannten rationalen Landwirtschaft, hohe Erträge zu erzielt werden könnten. Gleichzeitig würde die koloniale Arbeiterfrage gelöst, weil die Bauern ja nicht auf deutschen Plantagen, sondern auf eigenem Grund arbeiten würden. Auf eigenem Land im Familienbetrieb würden die Togolesen nämlich gerne arbeiten – so die Idee. Für eine effektive Umsetzung dieser Idee von einer Baumwollvolkskultur musste man die Togolesen erst noch zur „Arbeit erziehen“, da sie nach der Meinung der Kolonialpropaganda aus rassischen Gründen strukturell faul und arbeitsunwillig seien.

Auch dieses Projekt scheiterte, weil sich nur wenige fanden, die so erzogen werden wollten oder die Vorteile der rationalen Landwirtschaft erkennen konnten. Für dieses Scheitern gab es viele Gründe. Gewiss spielte eine Rolle, dass bis dato die Landwirtschaft vor allem von Frauen betrieben worden war, während das Volkskulturkonzept einen pater familias als Haupt eines solchen Unternehmens sah. Wichtiger vielleicht war jedoch, dass das, was vollmundig als Volkskultur bezeichnet wurde, Freiwilligkeit mit Zwang verwechselte. Und schließlich basierte es auf dem rassischen Konzept des „N****s“, dem bestimmte Eigenschaften, beziehungsweise vor allem Mängel biologisch zugeschrieben wurden – wie Andrew Zimmerman in seinem Buch zu Experimenten an lebenden Menschen hat zeigen können.

Togo, welches zeitgenössisch als sogenannte Musterkolonie galt, weil man davon ausging, dass sie für das Kaiserreich wirtschaftlich profitabel sei, erlebte also zahlreiche wirtschaftliche Experimente, die nicht zuletzt, weil sie ausschließlich auf deutsche Interessen ausgerichtet waren, allesamt scheiterten. Das heißt nicht, dass sie nicht auch teilweise erheblichen Schaden anrichteten, zielten sie letztlich doch darauf ab, die bestehenden wirtschaftlichen Strukturen des Landes zu zerstören.

 

Widerstände

Vor dem Hintergrund der gewalthaften kolonialen Herrschaft, der ambivalenten Rolle der Mission und der erheblichen wirtschaftlichen Schäden, die durch die Deutschen verursacht wurden, verwundert es nicht, dass sich zusehends mehr Unmut aufstaute. Gewiss hat auch das Verhalten der Kolonialbeamten, deren Neigung zu Gewaltexzessen keine Einzelfälle, sondern viel mehr die Regel waren und die überdies togolesische Mädchen und Frauen sexuell ausbeuteten, mit zu einem an vielen Alltagshandlungen abzulesenden wachsenden Widerstand beigetragen. So mehrten sich gegen Ende der deutschen Kolonialherrschaft, verstärkt ab den 1910er Jahren, Petitionen, unterschrieben unter anderem von Octaviano Olympio, dem begüterten Plantagenbesitzer, in denen einzelne deutsche Beamte wie ganz grundsätzlich die Zwangsarbeit scharf kritisiert wurden. Und in der Zeitschrift Gold Coast Leader, die in der englischen Nachbarkolonie erschien, mehrten sich Artikel, die ebenfalls schwere Vorwürfe gegen die Deutschen erhoben.

Es dauerte bis 1960, dass Togo unabhängig wurde. Erster Präsident wurde Sylvanus Olympio, ein Nachfahre des Plantagenhändler Octaviano und seines Sohnes Siru Pedro, der nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland studiert hatte.

 

Von Rebekka Habermas

 

 

Literaturhinweise

Kokou Azamede, Transkulturationen? Christen zwischen Deutschland und Westafrika 1884-1939, Stuttgart 2010.

Lodjou Gayibor (Hg.)  Le Togo sous Domination coloniale (1884-1960), Lomé 1997.

Rebekka Habermas, Skandal in Togo. Ein Kapitel deutscher Kolonialherrschaft, Frankfurt 2016.

Peter Sebald, Die deutsche Kolonie Togo 1884-1914. Auswirkungen einer Fremdherrschaft, Berlin 2013.

Trutz von Trotha, Koloniale Herrschaft. Zur soziologischen Theorie der Staatsentstehung am Beispiel des „Schutzgebietes Togo“, Tübingen 1994.

Andrew Zimmerman, Alabama in Africa. Booker T. Washington, the German Empire and Globalization of the New South, Princeton/New Jersey 2010.


[1] Michael Pesek: Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika: Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880, Frankfurt 2005.


Abbildungen

[Abb.1] Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer: 060-0958-01. Urheber: Mlapa/Gustav Nachtigal. Trotz intensiver Bemühungen konnte kein/e UrheberIn des Scans ermittelt werden, eventuelle RechteinhaberInnen bitten wir um Benachrichtigung.

[Abb.2] Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer: 014-3504-10. Trotz intensiver Bemühungen konnte kein/e UrheberIn ermittelt werden, eventuelle RechteinhaberInnen bitten wir um Benachrichtigung.

[Abb.3] Kolonialwirtschaftliches Komitee (Hg.), Berlin 1906. Online unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wirtschafts-Atlas_der_deutschen_Kolonien_-_14.jpg (Letzter Zugriff: 15.4.2020). Urheber: Paul Sprigade/Max Moisel. Lizenz: Public Domain (CC0 1.0 Universal, PD-Old, PD-US).