Im Büsgenweg in Göttingen befindet sich die Fachbibliothek der Forstwissenschaften, die einige Bücher desselben Moritz Büsgen beherbergt, der namensgebend für die Straße war. Eines davon ist der Forschungsbericht seiner 1908 durchgeführten Reise nach Kamerun und Togo, auf der ihn ein Kameruner, der Eteki genannt wurde, begleitete und der sein Wissen als Holzkundiger weitergab. Vermutlich hatte er mit seinen Forst- und Sprachkenntnissen maßgeblichen Anteil an dem Erfolg der Reise und war selbst Urheber einiger Ergebnisse. Etekis Name findet sich jedoch auf keinem Straßenschild, auf keinem Buchumschlag, nicht einmal in einer Danksagung. Damit ist er kein Einzelfall, denn während zahllose europäische Forschungsreisende als große Wissenschaftler und Entdecker in die Geschichte eingingen, sind die vermutlich wichtigsten AkteurInnen kolonialen Wissenstransfers und kolonialer Wissensproduktion in Vergessenheit geraten.
Zweifellos hatten auch die berühmten europäischen Forscher großen Anteil daran, dass neues Wissen nach Europa gelangte, und auch daran, dass neue wissenschaftliche Errungenschaften gemacht wurden. Vergegenwärtigt man sich jedoch, dass diese Forscher auf ihren Reisen auf für sie völlig unbekanntem Terrain in sehr hohem Maße abhängig waren von DolmetscherInnen, Trägern sowie von einheimischen Orts- und Sachkundigen, relativieren sich ihre Eigenleistungen. Stattdessen gewinnt die Frage an Wichtigkeit, welche Rolle diejenigen spielten, die die Expeditionen durch ihren Beitrag erst ermöglichten und deren Wissen die Grundlage vieler „Entdeckungen“ war. In der Geschichtswissenschaft, in der es erst seit einigen Jahren Interesse an diesem Thema gibt, hat sich für diese Personen der Begriff „Intermediaries“ etabliert, was etwa so viel bedeutet wie „VermittlerIn“. Dies ist eine sehr offene Bezeichnung, in der eine heterogene Gruppe zusammengefasst wird, deren Mitglieder sich die Eigenschaft teilen, dass sie auf verschiedenen Ebenen den Austausch zwischen unterschiedlichen Personen und Kulturen ermöglichten – auf der einen Seite in der Regel EuropäerInnen und auf der anderen die Bevölkerungen der von diesen bereisten oder beanspruchten Gebiete.
Dolmetscher und Vermittler für die Kolonialverwaltung
Der Begriff der Intermediaries ist unter anderem deswegen so offen, weil diese Personen in unterschiedlichen Bereichen aktiv waren – nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch auf politischer Ebene spielten sie eine wichtige Rolle. Koloniale Herrschaft fußte in vielerlei Hinsicht auf der Zusammenarbeit mit den Intermediaries, die mit ihren Sprachfähigkeiten die Grundlage für eine funktionierende Kommunikation zwischen Kolonialmacht und lokaler Bevölkerung darstellten. Neben der reinen Übersetzungsarbeit fiel ihnen damit auch die Rolle als VermittlerInnen zwischen den Kulturen zu: Sie konnten einerseits beispielsweise Informationen über Wissen, Sitten oder politische Strukturen der lokalen Bevölkerung zur Verfügung stellen, andererseits sollten sie aber auch den Kolonisierten soziale, religiöse oder wirtschaftliche Vorstellungen europäischer Herkunft nahebringen.
In dieser Position fiel ihnen ein gewisses Maß an Einfluss zu, zumal die Vollständigkeit und Richtigkeit ihrer Informationen und Übersetzungen in der Regel nicht bis ins letzte Detail überprüft werden konnte. Intermediaries übernahmen Posten in der Kolonialverwaltung und verblieben hier oftmals deutlich länger als ihre europäischen Vorgesetzten, sodass sie nicht selten einen besseren Überblick über die Abläufe hatten, wodurch sich ihr – freilich immer noch begrenzter – Einfluss verstärkte. Obwohl sie im Vergleich mit der übrigen kolonisierten Bevölkerung in einflussreichen Positionen agieren konnten, blieben ihre Aufstiegsmöglichkeiten begrenzt. Außerdem waren sie stets einem Argwohn ausgesetzt, der von beiden Seiten kam, zwischen denen sie vermitteln sollten, da sie ja auch die Interessen der jeweils anderen verkörperten.
Viele Intermediaries konnten den Einfluss und die Fähigkeiten, die sie durch ihre Tätigkeiten für die Kolonialmacht erworben hatten, nutzen – einige für ihren eigenen wirtschaftlichen Aufstieg, andere als politische Eliten und Unabhängigkeitsaktivisten. Dennoch war und ist das Interesse an diesen Personen deutlich geringer als das an ihren europäischen Vorgesetzten, die ihrerseits aber auch die eigene Bedeutung betonten und den Einfluss von Vertreterinnen der lokalen Bevölkerung kleinredeten. Dies gilt vor allem auch für jene Intermediaries, die an wissenschaftlicher Arbeit beteiligt waren oder diese selbst betrieben.
Intermediaries als wichtigste AkteurInnen kolonialer Wissensproduktion
Eingangs wurde bereits erwähnt, dass die Arbeit europäischer Forschungsreisender nahezu unmöglich gewesen wäre ohne den Beitrag der Bevölkerung der jeweiligen Regionen. Dies betraf neben der wissenschaftlichen Arbeit selbst auch schon die Organisation der Unternehmungen, die in hohem Maße von den Leistungen der lokalen Bevölkerung abhängig war. Allein der Transport der Utensilien, die die Forschungsreisenden sowohl für ihr körperliches Wohl als auch für ihre wissenschaftliche Arbeit als unentbehrlich betrachteten, überstieg in aller Regel das Maß dessen, was sie selbst tragen konnten, weswegen man Trägerdienste in Anspruch nahm. Auch waren sie auf fremde Sprach- und Ortskenntnisse angewiesen, um eine funktionierende Kommunikation herzustellen und um ihre Routen zu bewerkstelligen, beziehungsweise überhaupt erst in Erfahrung zu bringen, wohin sich eine Reise lohnen würde.
An dieser Stelle begann bereits die direkte wissenschaftliche Mitarbeit der Intermediaries, denn diese verfügten oft über einschlägige Kenntnisse, beispielsweise botanische oder geographische, sodass sie den EuropäerInnen nur noch zeigen mussten, was zu „entdecken“ sei. Sie beteiligten sich auch an Forschungen, indem sie Untersuchungsgegenstände sammelten und ihr eigenes Wissen zur Verfügung stellten. Sie trugen über dies Informationen zusammen und übersetzten diese den EuropäerInnen. Auf diese Weise gelang es unzähligen ForscherInnen, an wissenschaftliche Erkenntnisse zu gelangen und diese anschließend als ihren eigenen Verdienst darzustellen, während die Namen anderer AkteurInnen, die nicht weniger wichtig waren, in Vergessenheit geraten sind.
Während fast alle Intermediaries in unterschiedlichen Kontexten übersetzten, ging die Tätigkeit Einiger darüber hinaus; manche wurden zum Beispiel zu zentralen AkteurInnen linguistischer Projekte. Ihre muttersprachlichen Kenntnisse waren unentbehrlich für das Erstellen von Grammatiken afrikanischer Sprachen, oftmals waren sie direkt an deren Erstellung beteiligt. Ihnen sind im Wesentlichen auch die Verschriftlichungen ihrer Sprachen zu verdanken, wobei vor allem auch Übersetzungen eine Rolle spielten. So leistete der Togolese Ludwig Adzaklo zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Hauptarbeit an der umfangreichen und schwierigen Arbeit einer Bibelübersetzung in die Ewe-Sprache. Fast ein Jahrhundert früher hatte dies auch die Nama Zara Schmelen getan, die mit ihrem Ehemann, einem deutschen Missionar, die Bibel in ihre Muttersprache übertrug. Auch wenn diese Namen es kaum zu Bekanntheit gebracht haben, sind sie wenigstens überliefert. Von den meisten Intermediaries gibt es hingegen gar keine Zeugnisse mehr oder sie sind bislang völlig unbeachtet geblieben. Zu letzteren gehört auch der am Anfang erwähnte Eteki, an dessen Beispiel im Folgenden gezeigt wird, wie die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Forschungsreisenden und Intermediaries aussehen konnte.
Zusammenarbeit von Europäern und Intermediaries: Ein Beispiel
Der Forschungsbericht der Wissenschaftler Moritz Büsgen und Friedrich Jentsch, die Eteki 1908 auf ihrer Reise begleitete, ist der einzige Weg, auf dem man noch von seiner Arbeit erfährt. An der ersten Stelle, an der sein Name auftaucht, wird recht offen der Grund für seine Teilnahme an der Expedition genannt: „Das Gepäck und unsere schwarzen Boys und Köche sowie der als Holzkundiger zugezogene Tischler Eteki aus Duala wurden in einem angehängten Leichterboot untergebracht.“[1] Es ist also anzunehmen, dass die beiden deutschen Forscher sich bewusst waren, dass lokale Fachleute über wichtige Kenntnisse verfügten, die ihnen selbst fehlten und nach denen sie auf ihrer Reise suchten, denn sonst hätten sie sich wahrscheinlich nicht um die Mitarbeit Etekis bemüht.
Für die Rekonstruktion der Art und Weise, wie der Wissenstransfer dann konkret realisiert wurde, bietet sich eine andere Textstelle an: „Von den häufiger vertretenen Starkbäumen untersuchten wir einige und erkundeten vom Tischler Eteki ihre Verwendbarkeit. [...] Es gilt als bestes Kanuholz, wird aber auch zu Möbeln verarbeitet.“[2] Interessant ist hierbei die Formulierung „etwas von jemandem erkunden“: Wenn jemand etwas erkundet, dann ist es in der Regel auch diese Person selbst, die in irgendeiner Form Informationen zugänglich macht. Bei dem Ausdruck „etwas von jemandem erkunden“ sind das Individuum, das aktiv handelt, und das, von dem das Wissen stammt, aber voneinander getrennt. So versteckt sich in dieser Formulierung ein für den Kolonialismus typisches Selbstverständnis, bei dem sich Forschungsreisende selbst als handelnde Subjekte verstehen, die sich lediglich eines Intermediaries als Hilfsmittel bedienen. Gleichzeitig verrät dieser Ausschnitt aber auch eindeutig, dass das Wissen über die Verwendbarkeit des Holzes eigentlich von Eteki stammte und innerhalb der lokalen Bevölkerung bereits bekannt war, da diese Art von Bäumen zu unterschiedlichen Zwecken verwendet wurde.
In dem Bericht der deutschen Forscher heißt es dann, dass sie zum Beispiel Bäumen namens „Mungóngo D., Mónga Bal., Búma D.“ begegneten, wobei es sich nicht um die in der Forstwissenschaft üblichen lateinischen Bezeichnungen handelte. Stattdessen wurde dieser Umstand damit erklärt, dass „leider […] nicht von allen Bäumen bestimmungsfähiges Material zu erlangen“ sei, „so daß wir uns oft mit der Angabe der einheimischen Namen begnügen müssen“.[3] Dies war allerdings nur ein vorläufiger und von den Europäern freilich unerwünschter Zustand und man griff, sobald man die nötigen Kenntnisse erlangt hatte, wieder auf lateinische Benennungen zurück. Aus anderen Fällen ist bekannt, dass nicht nur auf die Namen, sondern auch gerne auf lokale Klassifikationssysteme zurückgegriffen wurde, wenn die „Entdeckungen“ nicht in den bestehenden Wissenshorizont integriert werden konnten.
Wenig Erinnerung an bedeutende Leistungen
Dass Moritz Büsgen und Friedrich Jentsch über die Beteiligung Etekis und anderer berichteten, war im beginnenden 20. Jahrhundert alles andere als eine Selbstverständlichkeit. So ist es auch durchaus ein glücklicher Umstand, dass überhaupt noch etwas von dieser Mitarbeit überliefert ist, wenn auch nur an einigen Stellen und wenig ausführlich. In den meisten Fällen lässt sich kaum rekonstruieren, wo und inwiefern Intermediaries an wissenschaftlicher Arbeit mitwirkten, von genauen Abläufen und den Namen der Beteiligten ganz zu schweigen.
Dennoch ist davon auszugehen, dass Wissen, das im Kontext von Kolonialismus stand, eigentlich immer zumindest der Mitarbeit von Intermediaries bedurfte, um nach Europa zu gelangen oder neu erschlossen zu werden. Dies betraf nicht nur die hier angesprochenen Bereiche der Sprachen, Botanik oder Forstwissenschaft, sondern so gut wie alle Bereiche von Wissenschaft. So basierte beispielsweise der Transfer lokalen pharmazeutischen Wissens ebenso auf den Leistungen von Intermediaries wie auch das Sammeln und das Verständnis ethnographischer Studien.
Unabhängig von einzelnen Wissenschaften ist vor allem „das lange 19. Jahrhundert“ als eine Zeit bedeutender Entdeckungen und eines gewaltigen Fortschritts in die Geschichte eingegangen, dessen Erbe bis in die heutige Zeit eine große Rolle spielt. Auch wenn die Erinnerung an nicht Wenige, die daran beteiligt waren, gepflegt wird, sind auch viele ihrer Protagonistinnen in Vergessenheit geraten. Zu diesen gehören vor allem die Intermediaries, die nicht nur auf unterschiedliche Weisen einen wesentlichen Beitrag zu diesem Fortschritt leisteten, sondern ihn oftmals überhaupt erst ermöglichten. Zwar gibt es heute nur noch wenig Kenntnis über einzelne Intermediaries und auch insgesamt ist das Thema nur in Ansätzen erforscht, aber dennoch kann festgehalten werden, dass ihre Rolle sowohl im Wissenstransfer als auch in der Wissensproduktion von sehr großer Bedeutung war.
Von Albert Feierabend
Literaturhinweise
Gilbert Dotsé Yigbe, Von Gewährsleuten zu Gehilfen und Gelehrigen. Der Beitrag afrikanischer Mitarbeiter zur Entstehung einer verschrifteten Kultur in Deutsch-Togo, in: Rebekka Habermas/Richard Hölzl (Hg.), Mission global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, Köln u. a. 2013, 159-175.
Harald Fischer-Tiné, Pidgin-Knowledge. Wissen und Kolonialismus, Zürich 2013.
Ulrich van der Heyden/Andreas Feldkeller (Hg.), Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen. Transkulturelle Wissensaneignung und -vermittlung durch christliche Missionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 2012.
Rebekka Habermas, Intermediaries, Kaufleute, Missionare, Forscher und Diakonissen. Akteure und Akteurinnen im Wissenstransfer, in: dies./Alexandra Przyrembel (Hg.), Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne, Göttingen 2013, 27-48.
Benjamin Lawrence/Emily Osborn/Richard Roberts, Intermediaries, interpreters and clerks. African employees in the making of colonial Africa, Madison 2006.
[1] Friedrich Jentsch/Moritz Büsgen, Forstwirtschaftliche und forstbotanische Expedition nach Kamerun und Togo, Berlin 1909, 191.
[2] Jentsch/Büsgen, Expedition, 204f.
[3] Jentsch/Büsgen, Expedition, 200.